Interview KI und Mitbestimmung

NÜRNBERG. Der Hype um die Künstliche Intelligenz (KI) ebbt nicht ab. Das Thema beschäftigt viele Menschen und Betriebe. Welche konkreten Auswirkungen hat die KI schon heute auf unser Arbeitsleben? Welche Chancen bietet sie uns zukünftig? Und wo liegen Gefahren? Die Erwachsenenbildung des kda Bayern befasst sich im Jahr 2025 schwerpunktmäßig mit diesen Fragen. Unser Interview mit Gewerkschafter Welf Schröter nimmt die Auswirkungen der KI-Revolution auf die betriebliche Mitbestimmung in den Blick.

1. KI umfasst ein breites Spektrum – von reinen, vollständig nachvollziehbaren Algorithmen bis hin zu generativer KI. Welche Art von KI ist für die betriebliche Mitbestimmung schwieriger zu handhaben? Und wie sollte damit umgegangen werden?

Der Blick in die Arbeitswelten von Produktion, Dienstleistung und Verwaltung zeigt, dass wir die algorithmischen Steuerungs- und Entscheidungssysteme – die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ – sehr differenzieren müssen. Umgangssprachlich formuliert ließe sich sagen „KI“ ist nicht gleich „KI“. Es gibt über einhundert Definitionen davon. In jeder äußern sich andere dahinterliegende Interessen.

Das „Forum Soziale Technikgestaltung“ plädiert für die Unterscheidung algorithmischer Systeme in „Assistenztechnik“ (Unterstützungstechnik mit Handlungsträgerschaft Mensch: Der Mensch entscheidet) und „Delegationstechnik“ (Technik mit Vollmacht und Entscheidungshoheit: Technik entscheidet). Die Delegationstechnik lässt sich wiederum in „regelbasierte“ Software und „datengetriebene“ Software gliedern. „Datengetriebene“ Werkzeuge besitzen die Eigenschaft, dass sie sich – im Gegensatz zur „Assistenztechnik“ – durch Anwendungen selbst verändern können. Dadurch entziehen sie sich der Idee, solche Software in einer Experimentierphase probeweise zu testen, zu evaluieren und gemäß altem Muster in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nach ihrer Implementierung zu begrenzen. Die Software zu Beginn eines Ausprobierens wird nicht dieselbe sein wie im fortgeschrittenen Stadium. Die Gestaltung der „datengetriebenen Delegationstechnik“ muss deshalb vor ihrer Beschaffung und vor ihrer Implementierung gestaltet werden. Das erfordert von Beschäftigtenvertretungen zusätzliche Kompetenzen wie erhöhtes Abstraktionsvermögen und Komplexitätskompetenz.

Angesichts zunehmender Varianten der generativen IT ist zudem den betrieblichen Sozialpartnern dringlich empfohlen, zwischen exaktem Software-Werkzeug und bloßen Wahrscheinlichkeitswerkzeugen zu unterscheiden. GPT-Lösungen [Generative pre-trained transformers, Anmerkugn der Redaktion] liefern derzeit keine exakt-richtigen Aussagen, sondern nur wahrscheinlich-richtige Aussagen. GPT-Lösungen faszinieren durch ihre Formulierungskunst. Sie enttäuschen derzeit noch mit ihrer mangelhaften Qualität. Ich rate allen, niemals ein GPT-Ergebnis auszudrucken und zu unterschreiben. GPTs lassen ohne Erklärung vieles weg. Darin liegt ein enormes Qualitätsrisiko.

2. Die rasante Entwicklung von KI schlägt sich schon heute in Betrieben nieder. Mit welchen bewährten Instrumenten der betrieblichen Mitbestimmung kann der Einsatz von KI schon heute mitgestaltet werden?

Aus der Arbeit des „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) mit Betriebs- und Personalräten geht hervor, dass wir einerseits innerhalb der bestehenden Mitbestimmungsabläufe die Reihenfolgen verändern müssen. Andererseits ist eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz erforderlich. Das Gesetz regelt Nutzungen digitaler Werkzeuge, die sich durch Anwendung nicht verändern. Hinter der sogenannten „KI“ verbergen sich aber auch IT-Werkzeuge, die sich im Sekundentakt durch Anwendung selbst verwandeln können. Da greift bislang das Gesetz nicht. Die bewährten Schutzrechte der Beschäftigten wie etwa Beschäftigungsschutz, Arbeitsschutz, Gleichstellung, Datenschutz etc. bleiben in algorithmischen Zeiten hochaktuell. Sie müssen nun aber verstärkt in einem arbeitsprozessorientierten Denken verankert werden. Die sogenannte „KI“ kann die Prozesssteuerung und die Arbeitsorganisation einseitig übernehmen. Dies jedoch sind Kernbereiche der Mitbestimmungsarbeit.

3. Muss sich die betriebliche Mitbestimmung in Bezug auf KI-Revolution verändern?

Die Mitbestimmungspraxis angesichts sich ausbreitender algorithmischer Steuerungs- und Entscheidungssysteme muss um das Format des „Moderierten Spezifikationsdialogs“ erweitert werden. Ein solcher Dialog soll vor der Beschaffung und vor der Implementierung von Delegationstechnik stattfinden. Im Zentrum des „Moderierten Spezifikationsdialogs“ stehen der Wandel der Arbeitsprozesse durch Technik und die Aufwertung des Erfahrungswissens der Beschäftigten. Der Blick auf den Umgang des Menschen mit dem Display reicht nicht aus. Es geht um die Prozesse „hinter“ dem Display. Erfahrungswissen und IT-Sachwissen begegnen sich dabei auf gleicher Augenhöhe zur sozialen Ausgestaltung.

4. Was raten Sie aus Ihrer Perspektive Unternehmen, die KI einführen und nutzen wollen?

Im Moment ist zu erkennen, dass Führungskräfte, Beschäftigtenvertretungen und Teams oftmals überfordert sind. Sie verlängern im Geiste ihr Verständnis von Digitalisierung aus der Vergangenheit in die Zukunft. Gestartete, sich selbst verändernde Software orientiert sich nicht selten weder an den Vorgaben der Geschäftsleitung noch an den Anforderungen der Betriebs- oder Personalräte. Auch IT-Teams hinken in der technischen Dokumentierbarkeit dieser Werkzeuge sehr nach. Man könnte humorvoll sagen: Dieser Typ von Delegationstechnik verhält sich gegenüber den „Erwachsenen“ (IT-Team, Führung, BR) wie ein pubertierender Nachwuchs und lässt sich nichts vorschreiben.

Sich selbst verändernde „Delegationstechnik“ steckt in einem Reifungsprozess. Noch kann man nicht alle zulassen. Diese Technik ähnelt oft einem Impfstoff, der noch nicht getestet wurde, aber schon verimpft werden soll. Daher drei klare Empfehlungen: 1) Digitale „Assistenztechnik“ und „regelbasierte Delegationstechnik“ mitbestimmt gestalten und einführen. 2) Finger weg von unreifer „Delegationstechnik“. 3) Nur sehr zweckgebundene und begrenzte Anwendung generativer IT und noch keine Integration der noch immer hoch fehlerhaften, generativen IT in verbindliche Transaktionsumgebungen.

In den betrieblichen Abläufen muss erkannt werden, dass Arbeits- und Geschäftsprozesse vermehrt im virtuellen Raum in Echtzeit gesteuert werden sollen. Das BMAS-Projekt WiPiA („WiPiA hilft, das Denken in Prozessen zu lernen“, an dem das FST mitwirkt, spricht am Beispiel des Bau- und Ausbauhandwerks von der Bedeutung des „Dritten Ortes“, der Gewerke übergreifende Kooperationen in naher Zukunft erheblich beeinflussen wird. Neben den Ort Betrieb, neben den Ort Baustelle tritt virtuell der „Dritte Ort“, der digital via Plattform und „Delegationstechnik“ Prozesse der energetischen Altbausanierungen umgestalten wird.

5. Haben Sie Tipps für Mitbestimmungs-Gremien und Mitarbeitende?

Das FST hat für Beschäftigtenvertretungen einen neuen „Mitbestimmungsplan“ und eine spezielle „Checkliste“ erarbeitet. Damit drehen wir die Reihung: Erst den Wandel der Arbeitsprozesse und der Arbeitsorganisation betrachten, dann über Schutz und Datenschutz reden. Zur Erläuterung stehen von Seiten des FST Dokumente, Videos und Texte bereit unter https://www.blog-zukunft-der-arbeit.de/gestaltungshilfen/. Das „Forum Soziale Technikgestaltung“ nennt seinen Ansatz „Der mitbestimmte Algorithmus“. Algorithmische Systeme müssen vor ihrer Anwendung demokratisiert werden.

Zur Person:

Welf Schröter ist Gewerkschafter und arbeitet als selbstständiger Autor und Herausgeber von Fachartikeln und Fachbüchern. Er ist Mitbegründer des Netzwerkes „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST), der „Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg“, des Netzwerks „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in der digitalen Lebenswelt“ und des BMAS-Handwerksprojektes WiPiA. Das FST versammelt über 5.000 Frauen und Männer aus Betriebs- und Personalräten sowie Belegschaften.

Interview: Thomas Krämer, Referent kda Bayern

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Digitalisierung, Führungskräfte, Wandel der Arbeitswelt, Arbeitsbedingungen, Betrieb, Mitbestimmung

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