Das psychische Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist von entscheidender Bedeutung, auch wenn wir uns manchmal auf der Arbeit und über die Kolleg*innen und Chefs ärgern. Konflikte gehören zum Alltag, auch auf der Arbeit. Unterschiedlicher Meinung zu sein, verschiedene Interessen zu verfolgen oder andere Prioritäten zu setzen, ist normal. Auseinandersetzungen sind wichtig, um im Team oder mit einem Projekt weiter zu kommen.
Werden allerdings Konflikte mit Kollegen*innen und Vorgesetzten oder Kunden zu einem dauerhaften Problem oder wird sogar Mobbing zum Alltag, kann der Arbeitsplatz zur ernsthaften psychischen Belastung werden und krankmachen. Statistiken zeigen, dass fast jede*r dritte Deutsche angibt, selbst schon einmal am Arbeitsplatz gemobbt worden zu sein. Frauen sagen dies mit 35 Prozent häufiger als Männer mit 22 Prozent. (YoGov/Statista 2021)
Schätzungen zufolge verursacht Mobbing in Unternehmen jährlich Kosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro, die durch Krankheitsausfälle, Fluktuation und Produktivitätsverluste entstehen. Laut einer Studie der Universität Mannheim belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten durch Mobbing auf bis zu 14 Milliarden Euro jährlich.
Das sind Fakten genug, um auf Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeberseite das Problem im eigenen Betrieb anzugehen!
Susanne Schneider ist Mentorin, Systemischer Coach und Mediatorin. Sie arbeitet als zertifizierte Konflikt- und Mobbingberaterin bei der katholischen Betriebsseelsorge in Bamberg. Nina Golf vom kda Bayern hat sich mit der Konfliktexpertin unterhalten. Beide sind Mitglieder im „Netzwerk Konfliktkultur und Mobbing in Arbeitswelt und Schule im Großraum Nürnberg“.
Du berätst täglich hilfesuchende Menschen, die unter Konflikten und Mobbing am Arbeitsplatz leiden. Studien zufolge sind Frauen von Mobbing häufiger und anders betroffen, ist das auch deine Beratungserfahrung?
Susanne Schneider: Zu mir in die Beratung kommen zu 90 % Frauen. Männer machen einen weitaus kleineren Anteil aus. In meinem Beratungsalltag beobachte ich, dass Frauen meist viel zu lange abwarten, bis sie sich um Hilfe von außen bemühen. Sie versuchen häufig monate- oder gar jahrelang die erlebten und erlittenen Belastungen auszuhalten. Sie hoffen, dass das, was sie erleben müssen, einfach so wieder aufhört. Erst wenn sie bemerken, dass sie unter all dem Leid zerbrechen und nicht mehr weiterkönnen, melden sie sich zur Beratung an.
Warum Männer weniger in die Beratung kommen, kann ich nur vermuten. Männer haben möglicherweise andere, bisweilen wohl auch machtvollere Strategien. Sie gehen wahrscheinlich früher in die verbale Auseinandersetzung, weisen dem Mobber Grenzen auf, wehren sich schneller rechtlich oder lenken sich einfach ab.
Wer dann aber zu mir in die Beratung kommt, hat seine über lange Zeit quälend leidvolle Erfahrung gemacht. Und der Schritt, sich nach außen zu wenden und Hilfe zu holen ist auch kein einfacher. Vielleicht sind Frauen hier mutiger?
Welche betrieblichen Bedingungen und Strukturen begünstigen Mobbingprozesse und sind auch für Frauen von Bedeutung?
Mobbing geschieht, weil es unter bestimmten Rahmenbedingungen gut gedeihen kann. Ursachen von Mobbing sind eine ungünstige Konstellation von Personen, Ereignissen und betrieblichen Rahmenbedingungen. Als Risikofaktoren fallen immer wieder folgende Komponenten auf: schlechtes Betriebsklima, Stress wegen Unsicherheit des Arbeitsplatzes, Konkurrenzsituationen, wenig unterstützende Führung, mangelnde Einbindung und Transparenz in unternehmerisches Vorhaben, viele Frustrationserlebnisse in den Arbeitsteams. Dazu kommen oft eine große Personalknappheit und hohe Fluktuation sowie kaum wertschätzende Anerkennung für die geleistete Arbeit.
Mobbing ist Gewalt und Macht. Wer in machtvollen Positionen sitzt, ist vor Mobbing mehr geschützt. So ist meine Beobachtung, dass vor allem teilzeitbeschäftigte Frauen besonders gefährdet sind. Sie sind seltener in verantwortlichen Machtpositionen. Oft ist auch die finanzielle Abhängigkeit vom Job als Alleinerziehende dafür verantwortlich, dass vor allem Frauen die gewaltvollen Mobbingerfahrungen aushalten. Sie sehen keine Alternative und harren aus.
Worunter leiden Frauen am meisten? Wie kommen Frauen zurecht in besonders belastenden Arbeitssituationen?
Susanne Schneider: Von Mobbing Betroffene leiden unter einer lang andauernden Entwertung, Schikane, Erniedrigung und Ausgrenzung, um nur ein paar Schlaglichter zu werfen. Derartige Erfahrungen haben nach kürzester Zeit Auswirkungen auf Leib und Seele. Die Frauen erzählen mir von Schlafstörungen, Magenproblemen, Niedergeschlagenheit, depressiver Verstimmung. Im weiteren Verlauf stellt sich häufig bei allen eine Minderung des Selbstwertgefühles ein. Selbstzweifel. Die Betroffenen wissen nicht mehr, was sie glauben sollen, wissen nicht, das Erlebte „richtig“ einzusortieren.
Das Fatale an den meisten Mobbing-Geschichten ist, dass die Betroffenen zu lange warten. Sie versuchen – unter Angst und großem Druck – akribisch, alles richtig zu machen. Das führt aber genau zum Gegenteil: Fehler passieren, das eigene Verhalten wirkt – aus lauter Vorsicht – verkrampft, die Zusammenarbeit erscheint nach außen hin reduziert. Jetzt lauern Fehlentscheidungen! Denn von Seiten der Personalabteilung oder von Vorgesetzten kommt an dieser Stelle prompt die Antwort: Abmahnung! Wegen der Fehler, wegen der zurückhaltenden Verhaltensweisen. Die Leitung unterstellt mangelnde Kooperation und bewusste schlechte Zusammenarbeit. Das setzt den Gemobbten die Krone der Häme auf, es zeigt, wie perfide dieses „Mobbing-Spiel“ ist: Das, was die Betroffenen tun, um vermeintlich da rauszukommen, reitet sie immer tiefer rein. Im Grunde können die Gemobbten an dieser Stelle schon gar nichts mehr „richtig“ machen, denn darum geht es nicht. Bei Mobbing geht es – meist – um den inszenierten Ausstoß von Mitarbeiter*innen aus dem Arbeitsplatz.
Unter diesen Zusammenhängen leiden die Frauen am meisten. Und das ist sehr nachvollziehbar. Mobbing ist Gewalt und Macht. Kein Kavaliersdelikt.
Frauen können besser damit umgehen, wenn sie verstehen, dass ihre körperlichen und psychischen Reaktionen nicht „falsch“ sind. Wenn sie verstehen, dass ihre innerlichen Reaktionen gesunde Antworten auf eine krankmachende Situation bedeuten. Nicht sie sind krank, sondern das System, in dem sie da stecken, ist krankmachend!
Was ist dein Tipp für alle Frauen, die massive Konflikte oder Mobbing im Arbeitsalltag erleben? Kann Solidarität helfen?
Susanne Schneider: Es ist hilfreich zu verstehen, dass Mobbing nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern letztlich ein Symptomträger für ein krankes und krankmachendes System ist:
Die Strukturen im Betrieb oder im Unternehmen haben Schwächen – damit bereiten sie einen gedeihlichen Boden für die Entstehung und das Wachstum von Mobbing.
Mobbing ist immer ein Gruppenprozess. Viele Kolleginnen oder Kollegen nehmen über kurz oder lang, bewusst oder unbewusst, verschiedenen Rollen ein: Manche mobben mit, die anderen sehen nur zu und vereinzelt gibt es Personen, die anfänglich noch Hilfe leisten. Im Laufe der Zeit lassen aber auch Unterstützungsversuche nach: Der oder die Gemobbte steht alleine da.
Daher ist meine Empfehlung: Bleibt hellhörig! Bleibt auch als Nichtbetroffene wachsam, fragt bei den vermeintlich Gemobbten nach, wenn euch etwas auffällt. Fragt, ob eure Beobachtung stimmt! Fragt, wie ihr unterstützen könnt.
Der oder dem verunsicherten Betroffenen möchte ich raten:
Nimm deine Signale aus Körper und Seele wahr – ernst! Dein Körper ist der Kompass – er sendet dir Gefahrensignale. In diesen Momenten ist es hilfreich, innezuhalten und zu überprüfen, was das Unwohlsein erzeugt hat. Was genau ist geschehen, habe ich gehört oder erfahren, was diese Reaktionen in mir ausgelöst hat. Was denke ich darüber?
Nicht selten kann mit dieser Achtsamkeit eine Situation hinterfragt und analysiert werden. Was will mir meine Reaktion genau sagen? Welche Vermutung habe ich? Wie kann ich sinnvoll darauf reagieren.
Hole dir Hilfe! Du bist nicht allein. Es gibt – siehe unten – Anlaufstellen und Menschen, die dich in dieser Situation beraten und begleiten können.
Frauen profitieren von rechtlichen Schutzmechanismen wie dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Allerdings schützt der bestehende rechtliche Rahmen Mobbingbetroffene nur ungenügend. Daher braucht es ein Gesetz für den besseren Schutz von Mobbingbetroffenen. Was können Unternehmen konkret tun, um Mobbing zu verhindern?
Susanne Schneider: Prävention ist das Einzige, was wirklich wirksam gegen Mobbing getan werden kann. Konkret bedeutet das:
Von Seiten der Unternehmensführung braucht es eine konstruktive Konfliktkultur. Hilfreich ist es, wenn Mobbing begünstigende Rahmenbedingungen bekannt sind und begrenzt werden (Personalknappheit, hohe Fluktuation, wenig Mitbestimmung, starke Hierarchien, zu lasches oder zu aggressives Führungsverhalten, hohe Konkurrenzen, wenig Wertschätzung etc.) Das Übel also an den Wurzeln packen!
Und sollte es dann doch zu Mobbing kommen, ist die Unternehmensführung gut beraten, wenn sie:
a) die Systematik, die Prozessschritte in einem Mobbingverlauf kennt (lernende und schlaue Organisation) und
b) wenn sie sich in einer Dienst- oder Betriebsvereinbarung bereits verpflichtet hat, wie mit Mobbingvorwürfen, Mobbingtatbeständen umgegangen wird.
Das Signal, das von einer derartigen Dienst- oder Betriebsvereinbarung ausgeht, ist bedeutsam und wirkungsvoll: Mobbing tolerieren wir nicht!
Auf Seiten von Mitarbeitenden und von Personalvertretungen ist es sinnvoll, achtsam zu sein und zu wissen, wie man Mobbing erkennen kann. Bei Verdachtsfällen darf man sich vorsichtig sein Bild machen, ob es sich in dem Fall um Mobbing handeln kann. Auch hier wird eine gute Dienst- oder Betriebsvereinbarung für jeden ersichtlich beschreiben, was zu tun ist. Im Zweifelsfall kann man mit der betroffenen Person in Kontakt gehen, seine Beobachtungen teilen und solidarisch Hilfe anbieten – wenn gewünscht.
Das Gesetz für den besseren Schutz vor Mobbing ist also die Verankerung in einer gelebten Dienstvereinbarung: Einzelne Schritte im Erkennen, im Umgang, mit Interventionen und Sanktionen sind darin beschreiben und gelten verpflichtend für alle. Ohne Rücksicht auf Hierarchien.
1. Nicht jeder Konflikt auf der Arbeit ist Mobbing.
2. Mobbing ist heftig und eine Form von Gewalt.
3. Auch Konflikte, die kein Mobbing sind, können erheblich verletzen, belasten und krankmachen.
Unter Mobbing versteht man die gezielte, systematische Schikane gegen einzelne Personen, oder gegen eine Person, die in der Minderheit ist, mit dem Ziel, sie zu isolieren und manchmal sogar auch, sie aus dem Arbeitsplatz zu verdrängen (Christa Kolodej)
Mobbing ist NICHT: Rechtmäßige, betriebswirtschaftliche Maßnahmen, ein schlechtes Betriebsklima, Konflikte mit 5 Kollegen*innen am Arbeitsplatz, also in der Regel einmalige Handlungen, die man selbst als unangenehm erlebt, aber eben nicht die die typische systematischen Schikane.
Es gibt kostenfreie, vertrauliche und anonyme Anlauf- und Beratungsstellen im Verbund des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der Evangelischen Kirche und der Katholischen Betriebsseelsorge mit den Gewerkschaften.
Beratungsmöglichkeiten bei Konflikten am Arbeitsplatz und Mobbing gibt es u.a. über:
• Netzwerk Konfliktkultur und Mobbing in Arbeitswelt und Schule im Großraum Nürnberg
www.konflikt-werkstatt.de
• Mobbing Telefon München
089 | 60 60 00 70
• Mobbing Hotline Frankfurt-Rhein-Main
069 | 830077128
069 | 830077129
www.mobbing-frankfurt.de
• Mobbing-Beratungstelefon Freiburg / Südbaden
0761 | 29280099
www.mobbing-beratungstelefon.de
• Konflikthotline Baden-Württemberg e.V.
0711 | 89244300
www.konflikthotline-bw.de
• MobbingLine Nordrhein-Westfalen
0211 | 8371911
https://www.komnet.nrw.de/service/MobbingLine/
• Mobbing Kontaktstelle Aachen
0800 | 182 0 182
www.mobbing-kontakt-stelle.de