NÜRNBERG. Große Sprachmodelle (LLM: large language modells) können viele unterschiedliche Textgattungen gut imitieren. Unser Kollege Thomas Krämer beschäftigt sich in seiner Fortbildungsreihe „KI greifbar gemacht“ mit diesen Modellen. Die Fortbildungsreihe ist Teil des Jahresthemas „KI konkret in der Arbeitswelt“ des kda Bayern. Vor Ostern interessierte Thomas Krämer sich dafür, wie gut LLM eine ganz spezielle Gattung aus dem Alten Testament beherrschen: den Psalm. In seinem Erfahrungsbericht beschreibt der wissenschaftliche Referent im kda Bayern, wie er vorgegangen ist, und präsentiert dann das Ergebnis.
Wie bin ich vorgegangen?
Die meisten großen Sprachmodelle sind in Form von Chats mit der Künstlichen Intelligenz (KI) nutzbar. Dabei kann die KI auf alle Inhalte aus dem Chatverlauf zurückgreifen, auch die, welche das KI-Modell selbst generiert hat. Viele gute Entwürfe konnte ich dann gewinnen, wenn ich mir diese Eigenschaft zu Nutze machte. Meine erste Frage galt zunächst den Merkmalen von der Textgattung, für die ich einen Entwurf benötigte, oder der Frage, was gute Texte der entsprechenden Gattung ausmache.
Ausgangspunkt
Ich nutzte das Konto bei ChatGPT von openAI. Dort kam nach Auskunft des Chatbots das Modell ChatGPT-4o zur Anwendung. Nachdem ich einen neuen Chat gestartet hatte, fragte ich nach den Merkmalen der Psalme. Er listete verschiedene Dinge auf. In der Antwort fand ich keinen Fehler. Hätte ich hier Fehler gefunden, hätte ich sie verbessern können. Man kann dem KI-Modell auch mitteilen, wenn einzelne Ausführungen aus seiner Antwort für den weiteren Chatverlauf unberücksichtigt bleiben sollen. Das ist manchmal hilfreich, wenn man etwas spezifischer vorgehen möchte. Hier habe ich es aber nicht getan.
Der zweite inhaltliche Aspekt
Im Anschluss fragte ich, ob die Bibel auch von der dunklen Seite Gottes berichte. Die Antwort war, dass es in der Bibel auch von solchen Aspekten Gottes berichtet, die als dunkle Seite empfunden oder beschrieben werden. Es kam noch ein kurzer Hinweis darauf, dass die entsprechenden Stellen meist herausfordernd wirken. Dann folgen Aufzählungen zu den Themen „Gericht und Zorn Gottes“, „Gottesverborgenheit“ und „Gewalt im Namen Gottes“ die teilweise mehrere Bibelstellen nennen. Die Antwort enthält auch einen Abschnitt zu „Wie wird das gedeutet?“ und „Im Licht Jesu“. Ermutigt durch das Nennen der Bibelstellen, fragte ich nach drei Beispielen hierfür. Als Antwort wurde auf die Zerstörung von Sodom und Gomorra, Gottes Schweigen bei Hiob und die Vernichtung der Erstgeburt in Ägypten genannt. Alles drei Beispiele enthielten die passende Bibelstelle und eine kurze Deutung.
Ein aktueller Bezug bitte
Nun wollte ich das Thema mit einem aktuellen Bezug anreichern. In der nächsten Antwort an das KI-Modell machte ich die Feststellung, dass beim Thema Nachhaltigkeit bereits viele Grenzen überschritten werden, die aktuelle Lage vermuten lässt, dass viele Ziele zum Schutz von Natur und Umwelt wohl nicht erreicht werden und die Lage wohl schlecht bis aussichtslos sein dürfte. Hinzu kämen ja noch die Kriege. Auf diese Feststellung kam eine bestärkende Antwort, dass ich etwas „ganz treffend“ anspreche. Das KI-Modell führte dann weitere Punkte unter den Überschriften „1. Nachhaltigkeitsziele in Gefahr“, „2. Neue Kriege – neue Krisen“, „3. Gefühl von Ausweglosigkeit“ und „Biblisch betrachtet?“ kurz aus.
Der Entwurf
„Das sind jetzt genug Infos im Chatverlauf, um einen ersten Versuch zu wagen“, dachte ich und bat das KI-Modell um einen Psalm. Es bekam von mir die folgende konkrete Aufgabe:
„Schreibe zu dieser aktuellen Lage von Krieg und Schöpfung einen neuen Psalm mittlerer Länge. Er soll die Verzweiflung und Ausweglosigkeit thematisieren, aber auch ansprechen und erfragen, warum Gott nichts unternimmt und nur zusieht, wie bei Hiob.“
Als Ergebnis bekam ich einen Psalm mit 11 Versen, der unter der Überschrift „Psalm der zerreißenden Stille“ steht. 11 Verse sind mir etwas zu wenig. Zudem kam mir die Situationsbeschreibung, das Wehklagen und Verzweiflung zu wenig vor. Daher forderte ich das KI-Modell auf, 20 Verse zu liefern und diese drei Aspekte auszubauen. Nun kam eine Langfassung mit 20 neuen Versen. Hierbei wurde keine der vorherigen 11 wiederholt oder auch nur leicht abgeändert. Schnell stand für mich fest, ich würde alle Verse übernehmen. Nur müsste ich sie nur in eine neue gemeinsame Reihenfolge bringen. Bei einem Vers habe ich dann noch das erste Wort „Doch“ gelöscht, da es bereits in der neuen Reihenfolge im Vorvers am Anfang stand. Das war meine einzige Leistung, die ich neben dem Chat erbracht habe.
Angaben zu den Quellen und Bild
Zum Abschluss frage ich nach einer Quellenangabe. Diese bekam ich inklusiver einer Auflistung, wodurch er inspiriert war. Der Chatbot nannte die Psalme 13, 22, 88 und 74, das Buch Hiob, die moderne theologische Deutung der Psalme und bezog sich hier auf Walter Brueggemann, Dorothee Sölle sowie Jürgen Moltmann sowie „aktuelle Ereignisse und ökologische sowie geopolitische Krisen“. Das Modell wurde leider nicht genannt, also fragte ich nochmals gezielt danach und bekam dann auch die entsprechende Antwort. Die letzte Aufgabe, war es ein passendes Bild im Querformat zu erstellen, um einen Titelbild für diesen Beitrag zu haben.
Ich hoffe diese Beschreibung hilft nachzuvollziehen, wie man bei einem solchen Anliegen vorgehen kann. Aber nun hier endlich das Ergebnis, das mich persönlich tief angesprochen hat.
Das Ergebnis: „Psalm der zerreißenden Stille“
1 Herr, wo bist du in den Nächten des Krieges,
wenn Feuer vom Himmel fällt und Kinder weinen ohne Trost?
Warum schweigt dein Atem, wo wir nach Leben rufen?
2 Die Erde blutet, und die Meere tragen Gift.
Wälder brennen, und Felder verdorren unter dem Blick der Sonne.
Wo ist dein Garten Eden, den du uns anvertraut hast?
3 Du hast den Menschen als Hüter der Schöpfung gesetzt,
doch wir reißen aus, was du gepflanzt hast,
wir zerstören, was du „sehr gut“ genannt hast.
4 Wir haben Grenzen überschritten –
nicht nur die der Natur, sondern auch die des Herzens.
Unsere Gier kennt kein Maß, unser Zorn keine Pause.
5 Herr, meine Stimme geht unter im Lärm der Welt,
meine Tränen versickern in ausgetrocknetem Boden.
Ich rufe – aber wer hört mich? Du schweigst.
6 Die Felder tragen keine Frucht mehr,
der Himmel brennt, als wäre er zornig auf uns.
Der Wind trägt Asche statt Regen.
7 Flüsse trocknen, während Bomben neue Krater graben.
Das Wasser wird zu Gift, das Brot zu Luxus.
Wie lange noch, Herr?
8 Du hast uns das Meer gegeben – wir haben es zugemüllt.
Du hast uns die Wälder gegeben – wir haben sie verbrannt.
Du hast uns Brüder und Schwestern gegeben – wir haben sie erschlagen.
9 Ich sehe die Kinder, die unter Trümmern schreien.
Ich sehe Mütter, die ihre Söhne nicht mehr finden.
Ich sehe Väter, die ihre Herzen vergraben.
10 Städte fallen, als wären sie Kartenhäuser.
Schulen, Krankenhäuser, Tempel – nichts ist sicher.
Die Welt hat ihr Gewissen verloren.
11 Die Tiere fliehen, wo früher grüne Weiden waren.
Die Vögel schweigen, als hätten auch sie genug vom Sterben.
Selbst der Himmel scheint sich abzuwenden.
12 Der Mensch hat seine Krone zerbrochen und trägt nun Schutt.
Er sitzt auf Bergen aus Waffen und ruft nach Frieden –
ein Frieden, der nicht kommt.
13 Die Könige der Erde beraten sich – doch sie hören nicht zu.
Sie reden von Wachstum, während das Leben verdorrt.
Ihre Worte sind glatt, ihre Herzen aus Stein.
14 Ich schlage meine Hände zusammen,
nicht zum Klatschen, sondern zum Flehen.
Ich falle nieder, doch du hebst mich nicht auf.
15 Du hast Himmel und Erde erschaffen mit deinem Wort –
ist dieses Wort nun verstummt?
Hast du dich müde gesehen an deinem Werk?
16 Ich lese in den Schriften von deiner Gerechtigkeit,
doch draußen herrscht die Willkür.
Ich höre von deiner Liebe – aber wo ist sie?
17 Du hast den Menschen nach deinem Bild gemacht.
Aber ich sehe nur Masken aus Hass, Macht und Angst.
Dein Bildnis ist verzerrt, dein Abbild verblasst.
18 Ich habe aufgehört, in den Nachrichten Hoffnung zu suchen.
Ich finde nur Zahlen, Tote, Mahnungen.
Und dein Name fehlt.
19 Und du, Gott?
Du siehst – aber greifst nicht ein.
Du hörst – aber antwortest nicht.
Wie lange noch?
20 Du, der einst durch Mose sprach,
der Elia berührte im Wind?
Du, der Jonas verschonte, als er bereute – wo bist du?
21 Wie lange noch, Herr?
Wie viele Generationen müssen schreien,
bis du dich erhebst?
22 Wie lange sollen Unschuldige sterben,
Städte zerfallen, das Recht im Staub liegen?
Ist deine Geduld größer als unser Schmerz?
23 Ich schreie wie Hiob in der Asche:
„Erkläre mir deine Wege, Herr!“
Denn mein Glaube tastet im Dunkel nach deiner Hand.
24 Ich fürchte nicht das Dunkel –
ich fürchte, dass es bleibt.
Ich fürchte nicht das Schweigen –
ich fürchte, dass es dein letztes ist.
25 Doch ein Funke glimmt,
tief unter der Asche meines Glaubens.
Eine Erinnerung, dass du einst gesprochen hast.
26 Mitten im Sturm erinnern sich meine Lippen:
Du bist der Gott, der einst aus Chaos Ordnung schuf,
aus dem Nichts Licht, aus der Wüste Wasser.
27 Du hast das Nichts durchbrochen mit Licht.
Du hast das Volk durch das Meer geführt.
Du hast den Toten Leben gegeben.
28 Kannst du es nicht wieder tun?
Auch jetzt? Auch heute?
Lass nicht zu, dass die Hoffnung stirbt mit dem letzten Baum.
29 Kehre dich uns zu, Ewiger,
und lehre uns, was Gnade bedeutet in brennender Zeit.
Dass wir umkehren, ehe alles verloren ist.
30 Darum rufe ich: Sprich, Gott.
Sprich gegen die Zerstörung,
sprich gegen die Gleichgültigkeit,
sprich gegen unser Versagen –
und sei, was du warst:
der Gott des Lebens.
31 Ich warte – nicht mit Sicherheit,
sondern mit Sehnsucht.
Und ich glaube dir – nicht weil ich sehe,
sondern weil du einst gesprochen hast:
„Siehe, ich mache alles neu.“
In den nächsten Tagen wird ein weiterer Psalm-Beitrag erscheinen. Hier sollte die KI einen Psalm erstellen, welcher die Situation wiedergibt, in der Gott auf diesen Klagepsalm geantwortet hat. Den Beitrag finden Sie dann hier, sobald er veröffentlicht ist. Dieser Psalm passt dann auch besser in die Osterzeit.
Quellen:
„Psalm der zerreißenden Stille“ – ein neu verfasster Klagepsalm in Anlehnung an biblische Psalmen und das Buch Hiob. ChatGPT-4o / OpenAI, 2025.
Titelbild: GPT-4o Bildgenerierungsmodell von OpenAI, 2025
Thomas Krämer, wissenschaftlicher Referent kda Bayern