Verwandlung

Vor fast genau 100 Jahren starb der Schriftsteller Franz Kafka. Mit vielen Veranstaltungen wird deshalb in diesem Jahr an ihn und seine Texte erinnert. Als ich vor wenigen Wochen in Prag, der Heimatstadt von Kafka war, erinnerte ich mich an eine seiner Geschichten: „Die Verwandlung“

Es ist eine Geschichte, die einerseits ziemlich seltsam auf mich wirkte, andererseits kam mir beim Lesen immer der Bezug von Mensch und Arbeit in den Sinn.

Gregor Samsa, ein pflichtbewusster und erfolgreicher junger Mann, der im Außendienst arbeitete und mit seinem Einkommen auch seine Eltern und seine Schwester versorgte, kommt eines Morgens nicht aus dem Bett, er hat verschlafen und – jetzt wird es abenteuerlich – er hat sich in ein Insekt, in einen Käfer verwandelt. Er kann sich kaum bewegen, nicht aufstehen, nicht kommunizieren. Doch nicht seine wundersame Verwandlung sorgt ihn, sondern, dass er verschlafen hat und nicht rechtzeitig zur Arbeit und seinen Kunden kommen wird. Als er so da liegt macht er sich ständig Gedanken, wie er es vielleicht doch noch schaffen kann in die Arbeit zu kommen, seine Kundengeschäfte zu erledigen und bei seinem Vorgesetzten nicht in Ungnade zu fallen. Mit Angst denkt er an seinen Chef, den Ärger den er sicher bekommen wird und die Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Dass er ein Käfer ist und überhaupt nicht in der Lage ist in irgendeiner Weise seiner Arbeit nachgehen kann, das blendet er völlig aus.

Mich erinnert diese Geschichte an Menschen, die ihre eigene körperliche und psychische Situation völlig ausblenden und obwohl es ihnen sehr schlecht geht dabei nicht realisieren, dass sie eigentlich überhaupt nicht in der Lage sind ihre Arbeit gut zu machen. Aber aufgrund von Ängsten, Arbeitsdruck oder dem Gefühl der Pflichterfüllung sehen sie gar nicht auf sich und ihren Zustand, sondern halten daran fest – die Arbeit muss unter allen Bedingungen getan werden (auch wenn sie sich, wie in der Geschichte von Kafka in einen Käfer verwandelt haben). Nicht nur Selbstständige, auch Angestellte können in Situationen kommen, wo nichts mehr geht und viele Menschen um sie herum es längst merken, nur sie selbst nicht.
Die Wichtigkeit von Gesundwerdung, die Entwicklung und Erhaltung von Gesundheit wird in der Arbeitswelt oftmals leider nicht in ausreichendem Maße gesehen und unterstützt.

Wir können nicht in unsere Kolleginnen, Kollegen oder Vorgesetzen hineinsehen, nicht in ihre Seele blicken. Aber wir besitzen feine Sensoren und ein (Bauch)-Gespür, die oft ganz richtig liegen. Manchmal hilft schon ein freundlicher Blick, das Zeigen von Interesse und die ehrliche Mitteilung der eigenen Wahrnehmung um etwas zu verändern. Das Kümmern um die eigene Seele kann ziemlich schwierig sein, deshalb braucht es Mitmenschen die das Seelenwohl anderer im Blick haben.

“Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott”

(Psalm 42,3)

Diakon Roland Hacker, Fachstelle Kirche + Handwerk im kda Bayern

Foto: canva.com, vicnt

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