Gemeinsam die Herausforderungen meistern

Predigt zu 1. Korinther 12, 12ff. anlässlich der jährlichen Verbandstagung der bayerischen Fleischerinnung

Liebe Mitglieder der Fleischerinnung, liebe Gemeinde,
in knapp zwei Stunden geht’s wieder los: das nächste WM-Gruppenspiel für Deutschland steht auf dem Programm. Zu tausenden werden die Menschen wieder vor dem Fernseher oder der Leinwand sitzen – Sie und ich vermutlich auch.
Doch was wäre ein solches Fußballspiel, ohne dass für das leibliche Wohl gesorgt wäre. Das erste Spiel unserer Mannschaft wäre kaum erträglich gewesen ohne „a gscheide Brotzeit“. In unserem Garten dürfen beim Fußballschauen deshalb gerne ein paar saftige Holzfällersteaks oder Bratwürste auf dem Grill brutzeln. Natürlich tun‘s auch eine Leberkäsesemmel oder ein Wurstsalat.
Ich vermute, als Metzgerinnen und Metzger können Sie mir da nur zustimmen. Und so hoffe ich, dass heute viele Kunden bei Ihnen im Laden waren und Grillfleisch oder andere Leckereien eingekauft haben.
Fleisch zu verarbeiten und in seinen unterschiedlichsten Formen zu verkaufen ist Ihr Beruf. Sie leben davon. Es sichert Ihre Existenz und die von Ihren Familien und Ihren Mitarbeitenden.
Aber, liebe Gemeinde, Sie alle wären heute nicht hier, wenn es nur um das je eigene Geschäft gehen würde, wenn für Sie nur die eigene Metzgerei zählen würde. Sie sind Mitglied in einer Innung. Das heißt, Sie haben sich mit anderen zusammengetan, um etwas zu bewirken. Gemeinsam möchten Sie Ihre beruflichen Interessen vertreten, den Nachwuchs in Ihrem eigenen Bildungszentrum ausbilden, sich fachlich oder betriebswirtschaftlich beraten und ein gutes Miteinander fördern. Der Fleischerverband Bayern ist eine eigene Gemeinschaft.

Da stellt sich schnell die Frage: Was macht diese Gemeinschaft aus? Wie kann Ihr Zusammenwirken gelingen?
Diese Fragen sind nicht neu. Schon zu biblischen Zeiten hat sich der Apostel Paulus damit beschäftigt. In der Gemeinde in Korinth haben die Menschen angefangen, ihr je eigenes Süppchen zu kochen. Jeder und jede schaute lieber auf die eigenen Interessen als auf das, was für die Gemeinschaft wichtig war. Paulus hatte Angst, dass die Gemeinde auseinanderbricht. Deshalb hat er, wie wir gerade in der Lesung gehört haben, nach Korinth geschrieben. Um den Menschen deutlich zu machen, worum es ihm geht, verwendet er den Vergleich mit einem Körper und seinen einzelnen Gliedern.

Ich denke, dieser Vergleich hat nichts an Aktualität verloren und passt auch in unsere Zeit. Mir sind drei Aspekte deutlich geworden, die Chancen und Herausforderungen des Miteinanders in einer Gemeinschaft wie einer Innung ganz gut beschreiben:
Erstens: Stichwort „Bewegung“: Ein Körper ist etwas Dynamisches. Er ist immer in Bewegung. Das gilt für die einzelnen Körperteile wie für den Leib insgesamt.
Auch das Fleischerhandwerk ist, wie ich mir vorstelle, dauerhaft in Bewegung. Die beruflichen Herausforderungen lassen keinen Stillstand zu. Vielmehr muss darauf reagiert werden, wenn beispielsweise die Discounter ihr Fleisch zu immer niedrigeren Preisen anbieten. Da kann kein Handwerksbetrieb mithalten – und vermutlich will er das auch gar nicht, weil es dem eigenen Qualitätsanspruch nicht genügt. Gleichzeitig wird es immer schwerer Nachwuchskräfte zu finden, die den Betrieb übernehmen oder im Verkauf mitarbeiten.
Auf diese familiären, gesellschaftlichen und ökonomischen Bewegungen müssen Sie alle in irgendeiner Weise eine Antwort finden. Und doch entscheidet jeder anders, wie er oder sie mit diesen Herausforderungen umgeht. Der eine macht die Tradition stark, die andere setzt auf Bioprodukte und ein Dritter auf besondere Fleischsorten. Schließlich sind auch die geographische und wirtschaftliche Situation der einzelnen Metzgerei ganz unterschiedlich. So gibt es sicherlich vielfältige Möglichkeiten, in welche Richtung sich das eigene Geschäft bewegen kann.

Gleichzeitig – und damit komme ich zum zweiten Punkt – sind alle einzelnen Glieder miteinander verbunden und gleich wichtig.
Bei unserem menschlichen Körper sind es v.a. die Knochen, Sehnen und Bänder, die uns zusammenhalten, nicht zu vergessen die Haut, die alles umspannt.
Bei einer Gemeinschaft wie die des Metzgerhandwerks braucht es andere verbindende Elemente: beispielsweise einen Innungs-Verbandstag, regelmäßigen Austausch, gemeinsame Ziele und Überzeugungen. Ich stelle mir vor, dass es eine Herausforderung für sich ist, sich in die gleiche Richtung zu bewegen. Alt und Jung, Stadt und Land haben ihre je eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen von dem, wie die Zukunft des Metzgerhandwerks aussehen soll. Außerdem sind die anderen ja auch Konkurrenten. Da kann man als „Fuß“ schnell mal sagen: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib! – und der Gemeinschaft den Rücken kehren. Oder aber das Haupt sagt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. – und schließt wiederum andere aus.
Doch letztlich geht es nicht ohne einander – nicht bei einem Körper und auch nicht in einer Handwerkszunft. Werden Interessen gemeinsam vertreten, so finden sie viel leichter Gehör. Wird Wissen gemeinsam an die nächste Generation weitergegeben, so lässt es sich viel umfänglicher erhalten. Für all diese Aufgaben ist jeder und jede von Ihnen gleich wichtig, denn: Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer.

Und damit komme ich zu Drittens: Eine Gemeinschaft funktioniert am besten dann, wenn alle Teile zusammenwirken. Wenn die Augen abschweifen und der Kopf sowieso nicht bei der Sache ist, dann fällt man unweigerlich über seine eigenen Füße. Damit das gerade nicht passiert, müssen alle Körperteile ihre je eigenen Stärken einbringen und sich koordinieren.
Das heißt, jeder einzelne muss das Seine zum Gelingen des Miteinanders beitragen. Die Ohren bringen das Hören ein, die Hände das Zupacken und die Beine sorgen dafür, dass der Körper einen festen Stand hat. So ist es auch bei einer Innung. Jeder und jede von Ihnen muss seinen Teil dazu beitragen, dass die Gemeinschaft immer wieder aktuelle Trends wahrnimmt, Dinge anpackt und gesellschaftspolitisch einen festen Stand hat.
Vermutlich ist das nicht immer einfach. Wer mit einem Betrieb selbständig ist, arbeitet in der Regel selbst und ständig. Gerade die zeitlichen Anforderungen sind bei einer eigenen Metzgerei sicherlich hoch und freie Stunden mit Familie und Freunden rar. Da ist es auf den ersten Blick nicht gerade verlockend, sich auch noch in der Innung zu engagieren.
Und doch lohnt es sich, gemeinsam zu wirken, denn als Teil der Gemeinschaft bekommt man auch etwas von ihr zurück. Wer Teil einer Gemeinschaft ist, kann beispielsweise auf Schutz und Hilfe zählen. Gerade dann, wenn der eigene Betrieb vor großen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen steht oder es Schwierigkeiten mit dem neuen Auszubildenden gibt, finden sich in der Innung sicherlich Ansprechpartner, die weiterhelfen können.
Gemeinschaft bedeutet also nicht nur Geben, sondern auch Nehmen. Oder um es mit Paulus zu sagen: die Glieder sollen einträchtig füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

Liebe Gemeinde, soweit zu den drei Aspekten, die Paulus in seinem Vergleich eines Körpers und dem Miteinander in einer Gemeinschaft betont. Doch der Apostel belässt es nicht dabei. Er schreibt nicht nur darüber, wie Gemeinschaft aussehen sollte, damit sie gelingt. Ihm war es vor allem wichtig, seine Gemeinde in Korinth daran zu erinnern, warum es ihre Gemeinschaft überhaupt gibt. Gleich in seinen ersten zwei Sätzen erläutert er den Grund, wer dieses „Wir“ begründet hat: Es ist Christus.
Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.
Paulus bezieht sich hier allein auf Christus. Nichts und niemand sonst hat die Gemeinschaft der Menschen in Korinth gestiftet. Jesus Christus ist der, der sie möglich gemacht hat und der sie zusammenhält.

Tja, liebe Gemeinde, damit scheint Paulus in seinem Brief eigentlich von einer ganz anderen Gemeinschaft zu reden als von der Ihren als Fleischerverband. Eine Innung als berufliche Interessensgemeinschaft beruft sich erstmal nicht ausdrücklich auf Christus. Auch hat sie als regionaler Verband eine ganz andere Größe als die weltweite Christenheit. Und natürlich sind auch ihre Inhalte andere, geprägt von den handwerklichen Traditionen und ökonomischen Herausforderungen.
Und doch spricht Paulus in seinen Zeilen auch von uns. Denn wir alle sind an dem Ort, an dem wir arbeiten – sei es in der Innung, in der Metzgerei oder anderswo – gleichzeitig Teil der Gemeinde Jesu Christi. Arbeiten und Christsein lässt sich nicht trennen. Ich bin immer auch am Ort meiner Arbeit Christin. Der Kirchenreformator Martin Luther hat es einmal so formuliert: „Bist du ein Handwerksmann, so findest du die Bibel gelegt in deine Werkstatt, in deine Hand, in dein Herz. Sie ist es, die dich lehrt und dir predigt, wie du dem Nächsten tun sollst.“ (WA 32, 495)
Das heißt, die Gemeinschaft, die wir durch und mit Jesus Christus erfahren, spielt auch eine Rolle in unseren anderen Gemeinschaften. Sie hat Einfluss darauf, wie ich mit meinen Kolleginnen und Mitarbeitenden umgehe. Das Gebot der Nächstenliebe gilt nicht nur in der Kirchengemeinde, sondern genauso im Miteinander im Laden. Gleichzeitig darf ich gewiss sein, dass ich nicht alleine bin, wenn die Arbeitsbelastungen grenzwertig sind. Ein Gebet oder ein paar Minuten in einer Kirche können mir neue Kraft geben.
Paulus erinnert daran, dass wir auch in der Gemeinschaft des Berufsverbandes, der Familie oder der Gesellschaft als Christinnen und Christen verbunden sind. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.
Und so wünsche ich Ihnen heute beides:
Zum einen, dass Sie die Gemeinschaft mit Christus immer wieder neu erleben, dass Sie spüren, er geht Ihren Weg mit.
Und zum Zweiten wünsche ich Ihnen, dass Sie die Gemeinschaft untereinander pflegen und gestalten und sich miteinander auf den Weg machen – sei es hier auf der Verbandstagung oder in Ihrem Laden.
Amen.

Autorin: Pfarrerin Dr. Sabine Behrendt