Abendandacht gehalten am 18. Oktober 2019 im Wildbad Rothenburg anlässlich des 9. Forums Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt zum Bild von Paul Klee “Hat Kopf, Hand, Fuß und Herz” (1930)
I: Kopf (PL)
„Was du im Kopf hast, das kann dir niemand nehmen.“ So wurde mir erklärt, wozu Bildung im Leben wichtig ist. Was man weiß, das hat man im Kopf. Und was man im Kopf hat, das hat man fürs Leben – natürlich für ein gutes, für ein gelingendes Leben. Wer weiß, gewinnt. Und wenn man sich so umschaut, scheint es ja zu stimmen. Kopfarbeiter verdienen im Durchschnitt mehr als Handarbeiter. Sie leben im Durchschnitt länger und beziehen dadurch auch länger Rente. Alle einschlägigen Statistiken sagen: Bildung bringt Lebensvorteile. Kein Wunder, dass viele Eltern ihren Kindern eine gymnasiale und akademische Laufbahn ermöglichen wollen.
Bemerkenswert hier, was ein Kopfarbeiter, ein Weiser des Alten Testaments zu sagen hat. So schreibt der Prediger: “Der Weise hat seine Augen in seinem Kopf, der Tor aber geht in der Finsternis. Doch erkannte ich auch, dass ein und dasselbe Geschick sie alle trifft.”
Da ist einer, der mit offenen Augen durch die Welt geht, der zu deuten weiß und mit seinem Mund eloquent wiedergeben kann, was er wahrgenommen und verstanden hat. Gerade der sagt nun als Quintessenz seines Bildungsweges: Wenn es mir genauso geht wie dem Toren, warum hab ich dann nach Weisheit getrachtet?
Der Prediger lässt mich fragen: Macht Bildung per se glücklich? Garantiert sie ein gelingendes Leben? Was sagen die benannten Statistiken tatsächlich aus? Ist jemand, der mehr Geld hat, der länger lebt, glücklicher? Wie misst man das?
Aufgrund seines Bildungsfazits sucht der Prediger den Quell gelingenden Lebens nicht mehr im eigenen Kopf. Er beschreibt einen anderen Weg zum guten Leben: “Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinem Mühen? Doch dies sah ich auch, dass es von Gottes Hand kommt.”
Musik/Lied: Meine Hoffnung und meine Freude… (EG 697)
II: Hand (SB)
„Ich begreife das nicht.“ – so sagt man, wenn man etwas nicht versteht. Und denken hier oft nur an den Kopf. Dabei liegt es vielleicht daran, dass wir etwas im wörtlichen Sinne „nicht begreifen“, nicht anfassen/ in Händen halten/erfahren können. „Ich begreife das nicht.“ – Unsere Sprache macht deutlich, dass gerade das Lernen mit der Hand so wichtig. Im Kindesalter, aber auch später entsteht in unserem Gehirn ein neues Netz, wenn wir Dinge „begreifen“ können.
Vielleicht verwundert es deshalb nicht, dass Beten und Segnen immer etwas mit unseren Händen zu tun hat. Gebete und Segenswünsche sind nicht einfach nur Worte. Wer betet oder einen anderen Menschen segnet, tut das in der Regel mit seinen Händen. Die Hände werden gefaltet, zum Himmel erhoben oder zu einer empfangenden Schale geöffnet. Eine Hand berührt den Kopf, die Schulter, zeichnet ein Kreuz auf die Stirn des Gesegneten. Da wird körperlich erfahrbar, was uns verheißen ist: “Der HERR ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen.” (Ps 145,18)
III: Fuß (PL)
Wenn ich an Füße denke, denke ich zuerst an Gründonnerstagabende in Atlanta. In meiner dortigen Kirchengemeinde haben wir die Fußwaschung selbst nachvollzogen. Ritus der Berufung in die Nachfolge. Nachfolgen, mit beiden Beinen im Leben stehen, unterwegs sein, nicht allein, sondern mindestens zu zweit, im Austausch und gegenseitigen Tragen und Ertragen, dabei an einer der empfindlichsten Stellen des Körpers sanft berührt.
Welch wunderbares Bildungsritual. In einer Geste das Evangelium. Sakrament durch Jesu Wort, das zum Wasser hinzukommt:
Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. Bildung in der Nachfolge Jesu – ein Ent-Decken dessen, was es heißt, von Jesus berührt zu sein.
Sakrament durch Jesu Wort, das zum Wasser hinzukommt: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, was ich getan habe. Bildung in der Nachfolge Jesu – Nachahmen dessen, was Jesus gezeigt hat,
… so weit unsere Füße tragen.
IV: Hand und Fuß zusammen (SB)
Bildungskonzepte müssen „Hand und Fuß“ haben – so ist es immer wieder in der bildungspolitischen Debatte zu hören. Ja, Bildung braucht „Hand und Fuß“. Es braucht eine Ausgewogenheit aus aufnehmen und weitergeben. Es ist ein großes Geschenk, sich neues Wissen aneignen zu können. Und gleichzeitig braucht es Menschen, die andere teilhaben lassen an der eigenen Erfahrung. Auch ich habe Dinge erlebt, die andere noch nicht erfahren konnten, weiß etwas, das jemand noch nicht kennt und habe Zusammenhänge verstanden, die eine andere noch nicht versteht. Nur wenn ich Lernende bin und gleichzeitig mein Lebenswissen auch an andere weitergebe, bekommt Bildung „Hand und Fuß“ – im Beruf, in der Familie und in der Gemeinde.
Gerade unser christlicher Glaube lebt davon, dass er Geschenk und Gabe zugleich ist. Wir sind aufgerufen unsere Glaubenserfahrungen weiterzugeben an andere. „Darum gehet hin und lehret alle Völker.“ (Mt 28,19) So wird es bei der Taufe jedem Täufling aufgetragen. Nicht zuletzt deshalb ist es als Christen unsere Aufgabe, anderen Menschen von unseren Erfahrungen mit Gott zu erzählen und sie teilhaben zu lassen am gelebten Glauben. Vielleicht berichten wir von Zeiten, in denen wir Zweifel durchgestanden haben. Oder wir erzählen voll Freude von der Erfahrung, von Gott getragen zu sein.
Lied/Musik: Ubi caritas… (EG 651)
V: Herz (PL)
Wenn wir vom Herzen sprechen, dann sprechen wir von Liebe und Gefühlen, dann sprechen wir von Empathie und Mitgefühl, dann sprechen wir von sozialen Kompetenzen – auch im Gegenüber, ja im Gegensatz zu kognitiven Kompetenzen. So ist ja Herzensbildung im Deutschen gemeint. Und so wird ja auch unterschieden. Wenn wir sagen: „Mit Herz und Kopf.“, dann fügen wir zusammen, was wir zunächst einmal sprachlich und oft genug auch faktisch trennen – auch, vielleicht gerade auch in der Bildung.
Im hebräischen Wort, das im Alten Testament Verwendung findet und das wir im Deutschen mit „Herz“ wiedergeben, ist diese Trennung so gar nicht vorhanden. לב lev – das steht für Lebenskraft, Affekte, innere Regungen und allerlei Gemütszustände; es steht aber genauso für das Erkenntnisvermögen und die Vernunft, das Verstehen und die Einsicht das Bewusstsein und das Gedächtnis, das Nachdenken und das Urteilen, das Wissen und den Verstand.
Bemerkenswert finde ich das – und doch nicht überraschend. Denn der Mensch im Alten Testament wird nicht unterschieden zwischen Körper und Geist, zwischen dem Sitz der Affekte und dem Sitz der diese Affekte steuernden Vernunft. Vielmehr wird der Mensch in seiner gesamten, untrennbaren Leiblichkeit in der Welt gesehen. Als ganzer Mensch macht er dort seine Erfahrungen, die ihn berühren und aufregen, ihn zum Nachdenken anregen und erkennen lassen, die ihn Teil sein lassen in dieser Welt, unterscheidbar und doch tief verwoben.
Was das für die Bildung heißen könnte? Dass Herzensbildung nicht erst irgendwie zum eigentlichen Wissenskanon dazukommt, dass soziale Kompetenzen nicht auch irgendwie wichtig sind und heutzutage dazugehören, sondern dass Bildung schlicht und ergreifend Herzensbildung ist – in dem umfassenden Sinne, wie das Alte Testament vom Herzen spricht.
Lied/Musik: Magnificat… (EG 605)
VI Kreuz (SB)
Jetzt sehen Sie das ganze Bild – mit Kopf, Hand und Fuß und mit dem Herz in der Mitte.
Wenn Sie nun noch genau hinschauen, erkennen Sie noch etwas.
Alle Teile werden zusammengehalten von einem Kreuz. Rötlich bestimmt es den Hintergrund des Bildes.
Das bedeutet für mich:
In allen Herausforderungen, Ängsten und Mühen, sich Dinge anzueignen, zu wissen, zu reflektieren oder weiterzugeben, gibt es einen, der uns den Rücken stärkt, der hinter uns steht – Jesus Christus, der spricht: “Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.” (Mt 28,20).
Amen.
Gebet (PL/SB)
Herr, unser Gott,
unsere Zeit steht in deinen Händen. Wie groß ist deine Güte, auf die wir trauen dürfen.
So bitten wir dich:
Gib uns deinen guten Geist, dass wir mit Herz und Kopf tätig werden.
Segne unser Tun, damit es Hand und Fuß habe.
Sei bei uns mit deiner uns dienenden Liebe, dass unsere Füße in deiner Nachfolge stehen.
Gemeinsam sprechen wir: Vaterunser…
Autoren: Pfarrerin Sabine Behrendt und Pfarrer Peter Lysy, beide kda Bayern