Predigt zu Mt 16,26 gehalten anlässlich der Tutzingtagung 2018
Geliebte Gemeinde,
wenn wir – wie auf dieser Tagung – von Selbstoptimierung sprechen, dann machen wir das sehr deutsch. Deutsche lieben Substantive: Selbstoptimierung. Was aber, wenn wir aus diesem großen Wort einen Satz bilden? Wie würde der lauten? Vermutlich: ich optimiere mich selbst. Und da nun wird es interessant. Denn in dem Satz wird das Subjekt der Selbstoptimierung, der oder die Handelnde deutlich. „Ich optimiere mich selbst.“ Ich mache das. Und damit wird deutlich, was Selbstoptimierung voraussetzt: dass sich mein Ich mein Selbst zum Gegenüber, zum Objekt meines Tuns machen kann.
Wir Menschen können das. Wir können uns selbst zum Gegenüber machen, zum Objekt. Wir können uns selbst betrachten, an uns selbst arbeiten – und dieses Selbst kann unterschiedlich aussehen: meine körperliche Erscheinung, meine Körperfunktionen, mein Verhalten, mein Denken.
Dass ich mich zum Gegenüber machen kann als Mensch, das wird von manchen Philosophen heutzutage als das benannt, was uns Menschen von den Tieren unterscheidet – dieses Selbst-Bewusstsein.
Aber führt Selbst-Bewusstsein nun automatisch zur Selbst-Optimierung? Natürlich nicht. Wenn wir uns unserer selbst bewusst sind, dann bekommen wir uns erst einmal in den Blick – was noch lange nicht heißt, dass wir an uns etwas zu tun hätten.
Selbst-Bewusstsein, Selbst-Wahrnehmung, Selbst-Empfinden, das können gestresste Manager und andere Zeitgenossen erleben, wenn sie sich in ein Kloster für ein Wochenende oder für ein paar Tage zurückziehen. Nur führt dieses Selbst-Bewusstsein dann doch zu etwas anderem als dem vielleicht Erwarteten. Die ersehnte Ruhe, in der sich der Akku wie von alleine aufladen soll, gibt auf einmal auch anderem Raum, was im selbstoptimierten Alltag nicht Gehör findet.
Und dieses Andere fordert Aufmerksamkeit und Kraft, es lenkt ab von dem eigentlichen Ziel, das man sich doch im Kloster gesetzt hat. Nichts war´s dann mit dem Auftanken. Vielmehr wird der eigene Akku noch mehr strapaziert – und dazu noch von etwas in einem selbst, das eigentlich nur stört.
Nur ein Beispiel, wie sich Selbst-Bewusstsein gegen die Selbst-Optimierung stellen kann.
„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Mt 16,26)
In dieser Frage, die Jesus in den Evangelien an seine Jünger richtet, steckt ein Hinweis, warum wir gut daran tun, Selbst-Bewusstsein und Selbst-Optimierung zu unterscheiden, und dem auf die Spur zu kommen, wie unsere allgemein-menschliche Gabe des Selbst-Bewusstseins uns in die ganz bestimmte, enge Fahrrinne der Selbst-Optimierung führt.
Dabei hilft es, sich den biblischen Kontext dieser Frage vor Augen zu führen. Die Frage ist Jesus nämlich in einer ganz bestimmten Phase seines Weges auf Erden in den Mund gelegt. In dieser Phase, so heißt es, beginnt Jesus sein Leiden anzukündigen, er beginnt davon zu erzählen, dass dieses Leiden mit seinem Tod enden würde und seiner Auferstehung.
Und trotz dieser am Ende verheißungsvollen Botschaft widerspricht ihm Petrus im Namen derer, die ihm bereits nachfolgen: „Das widerfahre dir nur nicht!“
Petrus kann diesen Leidensweg nicht akzeptieren, wohl weil für ihn nicht denkbar ist, dass sich Gottes Herrschaft auf Erden im Leiden offenbaren könnte. Wer herrscht, braucht Machtstrukturen, Armeen, einen Hofstaat, Geld – aber doch kein Kreuz.
Doch Jesus weist Petrus brüsk zurück: „Geh weg von mir Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ (Mt 16,23)
Warum, fragt man sich da doch? Vielleicht lehrt uns der Blick in die menschliche Geschichte: Machtwechsel nach Menschenart kommen in der Regel nicht ohne – wie man so schön sagt – Kollateralschäden aus. Wer herrschen will, muss zur Not über Leichen gehen. Und wer seine Herrschaft ausüben will, der zahlt fraglos einen Preis, indem er permanent genötigt ist, diese Herrschaft abzusichern.
Was aber sagt uns das in Sachen Selbst-Optimierung? Ich beobachte, dass Selbst-Optimierung oft einhergeht mit Selbst-Beherrschung. Das heißt aber: dieselbe Herrschaftslogik, die Menschen wie Petrus auf ihre Welt beziehen, wenden sie nun an sich selbst an.
Was meiner Herrschaft über mich hinderlich ist, was an mir selbst widerständig oder schwach, krank oder hässlich erscheint, wird abgeblendet, verbannt, abgetötet oder passend gemacht. Und dabei wird ein hoher Preis gezahlt.
Es kostet die Seele – und damit ist nicht ein Organ gemeint, dass nach dem Tod den menschlichen Körper verlässt. Nein, die biblischen Worte für Seele bedeuten nichts anderes als Lebendigkeit.
„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Lebendigkeit?“
Das ist, was auf dem Spiel steht bei der Selbst-Optimierung: die eigene Lebendigkeit – und damit das, was mich ausmacht, wie ich Teil dieser Welt sein darf. In biblischer Sprache: mein Dasein als Geschöpf. So ist im letzten Selbst-Optimierung als Selbst-Beherrschung ein Akt des Unglaubens, da ihr das Gottvertrauen in meinen Schöpfer abgeht. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (Gen 1,31) Alles, was er gemacht hatte, auch dich, auch mich, seine Geschöpfe.
Wie aber bekommen wir dies nun besser in den Blick? Wie lässt sich unser Selbst-Bewusstsein aus der engen Fahrrinne der Selbst-Optimierung heben und in eine Wahrnehmung meiner selbst als Geschöpf Gottes einbetten?
Einen wertvollen Hinweis gibt Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus, wenn er den ersten Satz des Glaubensbekenntnisses auslegt: „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“
„Was ist das?“, schreibt Luther „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und erhält; dazu Kleider, Schuhe, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“.
Hier kommt die ganze Lebendigkeit zur Sprache, die mich Geschöpf sein lässt, angefangen bei meinem Leib und seinen Gliedern über die Nahrung, die diesen Leib erhält, hin zu meiner Umwelt, in die ich eingebettet bin, mit der ich in Beziehung stehe und dadurch mich als lebendig erlebe.
Meine Lebendigkeit ist in diesem Ineinander und Miteinander, in dem wunderbaren Ineinandergreifen von so vielem gegeben, was ich teils überschaue und teils eben nicht, all das, was mir tagtäglich widerfährt. Wenn ich mir dessen bewusst werde und damit meiner Selbst bewusst, meiner Lebendigkeit, meiner Seele, dann habe ich natürlich jedes Mal die Wahl.
Ich kann mich sorgen, ob all das, was zu meiner Lebendigkeit beiträgt, auch morgen noch da ist, und es daraufhin vermessen und überwachen, kontrollieren und optimieren.
Im Kleinen Katechismus schlägt Luther einen anderen Umgang mit dem, was mich lebendig macht, vor. Er schließt seine Auslegung des ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses mit folgenden Worten:
„für all das ich Gott zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewißlich wahr.“
Indem ich Gott lobe und danke für das, was mich lebendig macht und dass ich lebendig bin, nehme ich das, was mir meiner selbst bewusst ist, zunächst als Gabe Gottes wahr. Ich und all das, woraus ich bin, sind aus Gottes Hand. Und weil ich aus Gottes Hand bin, liegt auch mein Tun, auch im Verhältnis zu mir selbst, in Gottes Hand.
So ist es etwas ganz Praktisches, was uns aus der engen Fahrrinne der Selbst-Optimierung heben kann und ein Selbst-Bewusstsein für unsere Geschöpflichkeit, ja unsere Lebendigkeit ermöglicht. Im Beten, im Loben und Danken gewinnen wir das Selbst-Bewusstsein, in dem es sich optimal leben lässt. Amen.
Autor: Pfarrer Peter Lysy