Morgenandacht auf der Tutzing-Tagung 2022 “An der Grenze”
„Wer weiß, was dem Menschen nützlich ist im Leben, in seinen kurzen, eitlen Tagen ?“ (Prediger 6,12)
Geliebte Tagungs-Gemeinde,
wer weiß es schon, was dem Menschen nützlich ist im Leben? Wissen Sie es? Oder backen wir kleinere Brötchen und fragen: Wissen Sie, was Ihrem Leben nützlich ist? Ich kann von mir nur sagen: wenn ich ehrlich bin, weiß ich es eigentlich nicht. So manches habe ich gewollt, was nicht geworden und nicht geglückt ist – und es hat sich im Nachhinein als Segen herausgestellt. Und manches, was ich unbedingt wollte und wo ich mit dem Kopf durch die Wand bin, das war dann doch nicht so großartig, wie ich es erhofft hatte.
Vielleicht kennen Sie ja auch solche Erfahrungen. Wenn etwa eine Beförderung, die man unbedingt angestrebt hat, sich doch als nicht so toll herausgestellt hat. Oder die Reise, die man über so viele Jahre machen wollte, sich als Rohrkrepierer erwies.
Apropos Reise. Da denke ich an eine Frau, deren Mann ich vor vielen Jahren beerdigt habe und die mir erzählte, dass sie doch eigentlich noch all diese Reisen miteinander geplant hatten, wo er nun endlich im Ruhestand war.
Da denken wir ja vielleicht gleich: „Ja, Mensch, hätte er halt früher aufgehört mit dem Arbeiten. Da ziehe ich gleich meine Lehre draus und plane das anders für mein Leben.“ Aber wissen wir das, ob das dann für unser Leben der richtige Schluss ist? Wissen wir überhaupt, wie sich unser Leben aus all den Plänen und Entscheidungen so nach und nach entfalten wird? Fantasieren können wir ja viel, wie es uns in fünf oder zehn Jahren ergeht, aber wissen wir es?
Wer hätte vor fünf Jahren erahnen können, dass wir nun auf zwei Jahre Pandemie zurückblicken mit all dem Sterben, all den Ängsten, all der Not, all den Zerwürfnissen unter Menschen? Wer hätte vor zwei Jahren erahnen können, dass wir einen so fürchterlichen Krieg in Europa haben, dass wir für Strom, Gas und Benzin auf einmal so viel zu zahlen haben, dass die Inflation sich den zehn Prozent annähert?
Ja, sagen wir, wir hätten es nicht erahnen können und planen unsere Zukunft so weiter, als ob nichts gewesen wäre – oder doch so, dass wir nun die neuen Parameter einkalkulieren. Aber wer weiß, was morgen, was übermorgen auf uns zukommt, mit was wir da dann zu rechnen haben?
„Aber was dann?“ fragen Sie sich jetzt vielleicht. „Soll ich denn das Planen lassen? Soll ich in den Tag hineinleben, so als ob es egal ist, was ich tue, weil ich doch eh nicht weiß, was davon nützlich ist?“
Nun, hineinleben tun wir doch alle in unsere Tage, weil wir es auch gar nicht anders können. Denn die Tage kommen und gehen, so dass wir uns in ihnen vorfinden mit all unserem Planen und Tun.
Sie kennen doch sicherlich diese Tage, wo alles gelingt und glückt, was man sich vorgenommen hat und vielleicht sogar noch einiges mehr. Und vermutlich kennen sie auch diese Tage, die wie verhext sind, wo nichts von der Hand geht, wo man blockiert ist, einem Steine in den Weg gelegt werden. Unsere Sprache beschreibt das schon sehr genau, dass es da an ganz anderem liegt als an unserem Tun. Wenn Arbeit und Leben gelingen, dann ist es ein Segen. Und wenn nicht, dann können wir es auch nicht erzwingen.
Kein Wunder also, dass der Prediger davon spricht, dass und wie das alles in Gottes Hand liegt:
Sieh an die Werke Gottes; denn wer kann das gerade machen, was er krümmt? Am guten Tag sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: diesen hat Gott geschaffen wie jenen, damit der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist. (Prediger 7,13.14a)
Nun mögen solche Sätze vielleicht Angst auslösen: Ja, haben wir denn gar nichts unter Kontrolle? Oder sie können empören: Ja, habe ich mir denn nicht mit Fleiß, Mut und Verstand meine Stellung, meinen Ansehen, meinen Wohlstand erarbeitet? War ich das nicht?
Beides, die Angst und die Empörung, suchen ein Dasein jenseits eines Lebens in Gottes Hand. Denn wer sich in Gottes Hand glaubt, braucht der Kontrolle? Und wer sich in Gottes Hand glaubt, kann der all den Segen übersehen, der ihm in seinem Gelingen auf den Weg gegeben ist?
Es ist schon eine Herausforderung, was uns der Prediger da zumutet. Wer kann von sich sagen, die Tage so zu nehmen, wie sie einem entgegenkommen, gute wie böse Tage, gerade die bösen Tage?
Es ist wohl eine Lebenskunst, anzunehmen, was von Gott kommt und dabei vertrauen, wie es der Apostel Paulus schreibt: “Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.” (Römer 8,28) Das mag man so schon einmal gehört haben. Vielleicht glaubt man es ja auch irgendwie und meint, es schon verstanden zu haben. Aber am Ende ist auch dies ein Segen jenseits unseres Glaubens und Verstehens, in dieser Lebenskunst zu wachsen. Möge uns dieser Segen gegeben sein. Amen.
Autor: Pfarrer Peter Lysy