Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heuer fällt der 1. Mai auf einen Sonntag. Gib dem “Sonntag eine Seele und der Seele einen Sonntag” hat der Schriftsteller Peter Rosegger gesagt. Wenn wir heute den Tag der Arbeit an einem Sonntag begehen, so gibt das Gelegenheit daran zu erinnern, dass Arbeit eine Würde und einen Wert hat, der nicht nur von der Gunst und dem Gutdünken von Arbeitgebern und Auftraggebern abhängig sein darf. Und wenn wir die gegenwärtige Lohn- und Preis-Entwicklung betrachten sowie die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, so muss an diesem Sonntag als Tag der Arbeit schon die Frage erlaubt sein, ob die Mehrheit der Arbeitnehmenden zu Arbeit um jeden Preis verdammt ist, und ob ein auskömmliches Leben und Arbeiten nur Illusion ist? Denn an dem, was uns lieb und teuer ist – unserem Leben – wollen andere verdienen: Teure Lebenshaltungskosten und teures Wohnen und demgegenüber Arbeit zu Billiglöhnen und Dumpingpreisen.
An diesem Sonntag als Tag der Arbeit dürfen wir daran erinnern, dass solches Missverhältnis von Arbeit und Lohn nicht im Sinne der Schöpfung Gottes ist. Darum erheben wir Einspruch! Einspruch in Gottes Namen: Wir wollen heute sagen, was im Sinne der guten Schöpfung Gottes für alle Menschen förderlich ist und dass Arbeit ihren Wert hat. Nicht nur für eine Elitengesellschaft, sondern dass gute Arbeit und die Würde des Menschen für alle gelten.
Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert
Die biblische Rede von der Arbeit gründet im Schöpferhandeln Gottes, der selbst sein Werk in der Ruhe vollendet. Damit ist in Gottes Namen die Arbeit des Menschen gewürdigt und wertgeschätzt als Gabe der Schöpfung. Mit und in ihrer Arbeit entsprechen Menschen ihrer von ihrem Schöpfer gegebenen Bestimmung. Dazu kommt: Menschliche Arbeit ist einen gerechten Lohn wert, wie es in der Bibel heißt „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ (Lk 10,7). Faire und auskömmliche Bezahlung menschlicher Arbeit bildet die Voraussetzung dafür, dass Menschen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Doch dies ist seit biblischen Zeiten keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder bewusst vertreten und politisch eingeklagt werden. Aus diesem Grund setzt sich die Kirche auch für eine solidarische und gerechte Arbeitswelt ein. In ihrem Auftrag von Jesus Christus setzt sich die Kirche für eine umfassende Inklusion ein, d.h. für eine Gesellschaft, an der alle Menschen nach ihren Begabungen teilhaben.
Neben der Würde der menschlichen guten Arbeit zu einem auskömmlichen Lohn ist aber auch die Grenze der menschlichen Arbeitskraft in den Blick zu nehmen. Arbeit und Ruhe bilden in dieser Perspektive eine Einheit: Seitdem die Christenheit den Sonntag als Ruhetag feiert, ist der Auferstehungstag Jesu der Arbeitswoche vorangestellt. Da beginnt der Mensch seine Arbeit im Bewusstsein seiner Würde als von Gott befreiter Mensch. Deswegen setzen sich die Kirchen immer wieder für den Schutz des Sonn- und Feiertages ein. Angesichts neuer Formen der Arbeitsorganisation und der Beschleunigung und Intensivierung vieler Arbeitsprozesse ist zu fragen, wie die zeitliche und räumliche Ausweitung von Arbeit sinnvoll zu begrenzen ist. Hier sind Kirche und Gewerkschaften mit demselben Ziel unterwegs. Die Verteilung der Einkommen kann nicht allein dem Markt überlassen werden, sondern Einkommensstarke müssen mehr zu einem funktionierenden Gemeinwesen beitragen, damit die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben können.
Arbeitskraft ist keine Ware
Die Arbeitswelt ist in einem großen Wandel begriffen. Flexibilität und Arbeitsentlohnung gehen zu Lasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Damit sich jedoch die und der Einzelne so entfalten kann, dass Menschen frei und solidarisch handeln und die Arbeitswelt menschengemäß mitgestalten können, braucht es auch Sicherheit in den unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen. Denn die Arbeitskraft ist keine Ware, mit der beliebig gehandelt werden kann. Sie muss vielmehr nachhaltig geschützt werden. Löhne und Gehälter sind das zum Leben notwendige Einkommen. Gegenwärtig entstehen hier vielfältige Probleme durch befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit, z. B. durch missbräuchliche und massenhafte Ausweitung von Werkverträgen. Kirchen und Gewerkschaften treten am Tag der Arbeit zugleich für den „Sonntag der Seele“ ein: Wichtigstes Medium der Wertschöpfung der Arbeit bleibt der Mensch in seiner Beziehung zu den natürlichen Lebensgrundlagen. Das Recht und die Notwendigkeit von Gewerkschaften liegt wesentlich in der Solidarität für gerechte und menschenwürdige Arbeit begründet. Das Leitbild „gerechte Teilhabe“, das die Evangelische Kirche vertritt, zielt ebenso darauf, dass jeder Mensch in Freiheit selbstbestimmt leben kann und in die Gesellschaft integriert ist.
Gemeinsamer Auftrag: Eintreten für Solidarität und Gerechtigkeit
Das Eintreten der Gewerkschaften für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität passt mit diesem Leitbild der Kirche gut zusammen, auch dann, wenn Kirche und Gewerkschaft nicht immer einer Meinung sein müssen. Doch heute am Sonntag als Tag der Arbeit ist von guten Beispielen der Zusammenarbeit zu reden, z. B. von der gemeinsamen „Allianz für den freien Sonntag“. Für Gute Arbeit und für den Schutz des religiös begründeten Feiertags gemeinsam einzutreten, führt Gewerkschaften und Kirchen aus unterschiedlichen Motiven zusammen. Der Einsatz für eine Gesellschaft, die menschengemäß Pausen zulässt, Ruhetage einhält und gegen die um sich greifende rastlose Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft eintritt, hat hier neue Bündnisse geschaffen. Der Kampf für den Wert der Arbeit und die Würde des Menschen verbindet als neue und bestärkende Erfahrung Kirche und Gewerkschaft. Es lohnt sich, für die Würde des Menschen zu kämpfen und sich für den Wert der Arbeit gemeinsam einzusetzen. So bekommt der Sonntag als Tag der Arbeit eine Seele und die Seele ihren Sonntag.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen am heutigen 1. Mai einen „Tag der Guten Arbeit“ und einen gesegneten Sonntag.
Quelle: Dr. Roland Pelikan, Themenheft 2016 “Schutzgebiet Sonntag – Zeit ist unbezahlbar”, Evang. Verband Kirche – Wirtschaft – Arbeitswelt, Hannover