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Foto: Ev. Akademie Tutzing

Unterschiede wahrnehmen, Ungleichheiten vermeiden

„Alle sind anders – Vielfalt im Betrieb“ – unter dieser Überschrift trafen sich rund 60 Teilnehmer*innen zur diesjährigen Kooperations-Tagung des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt Bayern, der Evangelischen Akademie Tutzing und des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung München e.V. (ISF München) am 26. und 27.Juni 2017.

Tagungsbericht von Peter Lysy

Gleich zu Beginn machte Dr. Nick Kratzer (ISF München) deutlich, welch ambitioniertes Vorhaben die Themenstellung birgt. „Vielfalt ist kein in der Wissenschaft eingeführter Begriff, so dass es dazu keine spezifischen Forschungsvorhaben oder – ergebnisse gibt, auf die wir heute zurückgreifen können.“ Wenn man über Vielfalt im Betrieb nachdenke, dann bewege man sich in unterschiedlichen Spannungsfeldern, die es jeweils auszuloten gelte: So müssen Betriebe sich individualisierende Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter*innen zunehmend berücksichtigen, um im „war of talents“ wettbewerbsfähig zu bleiben, benötigen aber zugleich für die effiziente Steuerung betriebsinterner Prozesse ein gewisses Maß an Standardisierung. Zudem stehen Betriebe in pluralen Gesellschaften vor der Herausforderung, Vielfalt so zu leben, dass Ungleichheit und Diskriminierung vermieden werden. „Vielfalt im Betrieb würde ich als Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts werten. Jedoch gilt es immer wieder darauf zu achten, dass Unterschiede, die Vielfalt abbilden, nicht zu Ungleichheiten werden.“

An diese Unterscheidung konnte Professor Klaus Dörre vom Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena anknüpfen. Er beschrieb die Bundesrepublik als „prekäre Vollerwerbsgesellschaft“, in der die Arbeitslosigkeit insbesondere in der vergangenen Dekade durch die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse reduziert wurde. Als Folge ist eine Arbeitswelt entstanden, in der die Ungleichheit von Arbeitsverhältnissen die Regel geworden ist. So finden sich nur noch weniger als die Hälfte der Arbeitnehmerschaft in durch Tarifverträge regulierten Arbeitsverhältnissen vor, nahezu ein Viertel ist hingegen inzwischen im Niedriglohnsektor beschäftigt. Dass diese Vielfalt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch nicht erwünscht sein kann, machte Dörre eindrücklich deutlich. Denn laut seinen Studien sucht sich das Ungerechtigkeitsempfinden angesichts solcher wirtschaftlicher Ungleichheit ein Ventil. Viele, die sich als benachteiligt erleben, suchen neue kompensatorische Deutungsmuster der Ungleichheit: ethnische, kulturelle, religiöse oder geschlechtlich-sexuelle Vielfalt werden nicht toleriert. Wer anders ist, ist falsch oder zumindest unerwünscht. „So wird permanent Ungleichheit produziert.“ Um solchen Tendenzen gegenzusteuern, sieht Dörre die Notwendigkeit eines neuen, demokratischen Klassenkampfs als notwendigen integrierenden Konflikt.

Einen etwas anderen Weg, mit Konflikten umzugehen, die aus betrieblicher Vielfalt entstehen können, beschrieb Professor Martin Leiner vom Lehrstuhl für Systematische Theologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Als Leiter des Jena Center for Reconciliation Studies warb er darum, Erkenntnisse der Versöhnungsforschung auch im betrieblichen Kontext fruchtbar zu machen. „Leider liegen in der Forschung deutlich mehr Arbeiten zu der Frage vor, wie Konflikte entstehen und wie sie verlaufen, als Arbeiten, die sich mit der Frage befassen, wie man nach Konflikten wieder zusammenkommt.“ Aus seiner eigenen Erfahrung in der Versöhnungsarbeit mit kulturell gemischten Gruppen benannte er als Rahmen für eine gelingende Praxis der Versöhnung insbesondere: ein gemeinsames Verständnis, dass für alle der allgemeine Rahmen der Menschenrechte gilt, eine grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog, ein Maß an Respekt, dass dem Anderen Fehler ebenso zugesteht wie ein verantwortliches Vetorecht bei Themen, die „das Gegenüber nicht ertragen kann“. Dazu braucht es Institutionen, die diesen Rahmen gewährleisten und damit Situationen schaffen können, in denen innerbetriebliche Versöhnungsarbeit praktiziert werden kann.

Im Rahmen von Betriebsbeispielen wurden im Anschluss verschiedene Themen von „Vielfalt im Betrieb“ beleuchtet. Während Sabine Wohlleben, Betriebsrätin in einem großen IT-Unternehmen, beschrieb, wie das Genderthema in einer von Männern noch weitgehend dominierten Branche in den Blick kommt, erläuterte Alfred Birkenmayer , Betriebsrat bei Galeria Kaufhof, wie das interkulturelle Miteinander in einem multikulturellen Arbeitsumfeld mit Mitarbeiter*innen aus über 80 Ländern funktioniert. Ulrike Seegers, Ressortdirektorin Personal bei der AOK Bayern, legte dar, wie die Integration von Menschen mit Behinderungen in einem Unternehmen praktiziert wird, in der rund 10 Prozent der Belegschaft eine Form der Behinderung haben.

Im Abendgespräch mit Alia Hübsch-Chaudry, islamische Religionsphilosophin, Bloggerin und Autorin, und Philipp Blomeyer, zuständig für Personal, Kommunikation und Recht bei der Teambank AG, stand unter der Überschrift „Wie viel Vielfalt darf’s denn sein?“ die Frage nach dem Umgang mit religiöser Vielfalt im Betrieb im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund einschlägiger Urteile des EuGH zum Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz diskutierten die Tagungsteilnehmer*innen insbesondere über den Sinn und Unsinn von betrieblichen Regelungen zum Verbot religiöser Symbole am Arbeitsplatz. Alia Hübsch-Chaudry gab zu bedenken: „Verbote am Arbeitsplatz, die die innere Einstellung betreffen, funktionieren schon deswegen nicht, weil man auf Dauer seine Haltung sowieso nicht verbergen kann.“ Philipp Blomeyer betonte, dass er nach Auseinandersetzung mit der Fragestellung von einer rechtlichen Regelung im Rahmen einer Betriebsvereinbarung Abstand genommen habe. „Wo ziehen Sie die Grenze? Was machen Sie etwa, wenn ein Mitarbeiter sich ein Kreuz auf den Unterarm tätowiert?“

In vier Workshops am zweiten Tag waren die Teilnehmer*innen eingeladen, sich mit bestimmten Themen zum Stichwort „Vielfalt im Betrieb“ noch etwas intensiver zu befassen, sei es zur Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in der betrieblichen Praxis, sei es zur Frage, wie Interkulturelle Kompetenz im Unternehmen gestärkt werden kann, sei es zur selbstreflexiven Auseinandersetzung mit Diskriminierung im Arbeitsleben, sei es zur Frage, wie Demografie-Management im Betrieb gelingt.

Den Abschluss bildete ein Impuls von Professor Lisa Herzog von der Hochschule für Politik München. Unter der Fragestellung „Vielfalt der Moral?“ diagnostizierte sie, dass sich in Zeiten globalisierter Wirtschaftsstrukturen und weltanschaulich pluraler Gesellschaften und Belegschaften die moralische Frage im Wirtschaftsleben neu stellt. In nationalstaatlichen Wirtschaftsstrukturen hätten Betriebe und Wirtschaftsakteure die moralische Aufgabe zur Bearbeitung und Lösung weitgehend an staatliche Institutionen zu ihrer eigenen Entlastung abgeben können. Da jedoch ein Weltstaat als vergleichbares Gegenüber einer globalisierten Wirtschaft fehlt, verbleiben die moralischen Fragen und Aufgaben heutzutage weitgehend bei den Betrieben und den dort tätigen oder vom betrieblichen Handeln betroffenen Individuen. Herzog empfahl daher, die Frage nach der moralischen Verantwortung neu auszurichten. Verantwortungsträger wären nach ihrer Analyse nicht nur diejenigen, die qua Macht umsteuern können, sondern auch von „moral harms“ direkt Betroffene, die als glaubwürdige Zeugen authentische Impulse geben können, und Wissensträger und Experten, die das analytische und operative Know-how bereitstellen können. In diesem Sinne gab Herzog einen Ausblick, wie Vielfalt im Betrieb heutzutage in konstruktiver Weise genutzt werden könnte.