Tagungsbericht 2019: Management der Moral
Wie kommt die Ethik in die Wirtschaft? Was braucht es inhaltlich und methodisch, strukturell und individuell, damit Unternehmen gut handeln? Und was heißt es überhaupt, ein gutes Unternehmen zu sein? Unter dem Titel „Management der Moral“ befassten sich am 6. und 7. Mai 2019 rund 50 Teilnehmer*innen und Mitwirkende mit diesen Fragen an der Evangelischen Akademie Tutzing.
Wie jedes Jahr legte die Kooperationstagung des kda Bayern mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) und der Evangelischen Akademie Tutzing dabei neben der Reflexion unterschiedlicher Theorieperspektiven einen besonderen Wert auf die Wahrnehmung und praktische Klärung dieser Fragen im betrieblichen Kontext.
Hier finden Sie einen Rückblick auf die diesjährige Tagung sowie Materialien der einzelnen Referent*innen zum Download.
In seinem Eingangsstatement verdeutlichte Nick Kratzer vom ISF München, welche Rolle Moraldiskurse in Unternehmen spielen können. So bearbeiten sie Skandale, in denen sich Unternehmen vorfinden, werden als Marketinginstrument verwendet, um sich öffentlich als moralsensibel darzustellen, oder dienen der internen Konfliktbearbeitung oder -verschleierung, gerade wenn es sich um ungeklärte Wertekonflikte handelt. Daher stellen sich u.a. folgende Fragen: An welchen Werten sollte sich ein Unternehmen orientieren? Wer entscheidet bei Wertekonflikten, welche Werte priorisiert werden? Wie werden Werte in einem Unternehmen verbindlich?
Sarah Nies vom ISF München verdeutlichte einen wesentlichen Wertekonflikt, den sie aus Interviews mit Beschäftigten herausgearbeitet hat und der sich aus dem moralischen Spannungsfeld ergibt, in dem sich Unternehmen befinden. So trägt ein Unternehmen auf der einen Seite Verantwortung für die Arbeitsbedingungen seiner Beschäftigten, auf der anderen Seite wirkt es im Rahmen von Wertschöpfungsketten und durch seine Produkte auf seine Umwelt ein, wobei sich auch hier das „Wie“ dieses Einwirkens als ethische Frage stellt. Diese unterschiedlichen Verantwortungen können dabei in Spannung geraten. Beschäftigte lösen diese Spannung nicht selten, indem sie die Bedeutung ihrer Arbeit am direkten Nutzen für den Kunden festmachen, dabei aber seltener den gesellschaftlichen Nutzen (oder eventuellen Schaden) ihrer Arbeit in den Blick nehmen.
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Bayreuth, beschrieb, wie die Digitalwirtschaft von Werten getrieben ist, indem Unternehmen den Kunden einen Mehrwert bieten. So stehe etwa Facebook für den Wert „Connectedness“, Amazon für den Wert „Speed“. Wer diese Werte am wirksamsten werden ließe, habe daher auch den größten Wettbewerbsvorteil. Wie aber werden Werte wirksam? Während die klassische ökonomische Theorie davon ausgehe, dass Verhalten sich nur dadurch ändere, dass man die Restriktionen (insbesondere durch Gesetze) anpasse, reflektieren neuere ökonomische Ansätze auch den Wandel von Präferenzen. Daher setzen Unternehmen zunehmend auf Integrity Management in Ergänzung zum Compliance Management, um die Ethik ins Unternehmen zu bringen.
Vor einer Moralisierung von Unternehmen durch Compliance und Integrity Management warnte hingegen Professor Dr. Stefan Kühl, Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Während man sich im Abstrakten schnell auf grundlegende Werte einigen könne, entstehen hingegen große Probleme, wenn im Unternehmen gefragt werde: „Was heißt das konkret? Und wie setzen wir das um?“, da Zielkonflikte sichtbar sind. Doch statt diese Zielkonflikte zu klären, werde der Diskurs moralisiert und damit eine produktive Klärung unterbunden. Das führe dazu, dass Regelabweichungen im Verborgenen blieben und die Beschäftigten zur Heuchelei motiviert würden. „Vielleicht sind daher die Unternehmen am interessantesten, die am wenigsten über Moral reden.“
Carola Dunkel, Betriebsrätin in der Zentrale der Siemens AG in München, zeigte, wo in ihrem Unternehmen Werte gelebt werden. Bis heute gelte das Credo des Gründers Werner von Siemens: „Für einen augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.“ Innovationskraft zum Wohl des Kunden, dafür stehe Siemens. Sorgen bereite den Beschäftigten derzeit, wie sich Digitalisierung und Globalisierung auf sie auswirken. „Wir brauchen Menschen nicht mehr vor Ort, von deutschen Unis. Die Arbeit können interdisziplinäre Teams weltweit erledigen.“ Daher fordere der Siemens Betriebsrat derzeit unter dem Motto „Mensch vor Marge“, die Wertschöpfung in der EU zu stärken, Investitionen in Zukunftstechnologien voranzutreiben, aber auch das Vertrauen als Basis des Austausches zu stärken. Konkret werde dies an Betriebsvereinbarungen zum „Partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz“ oder zur Inklusion von Schwerbehinderten.
Georg Gößwein, Compliance Berater, Mediator, Interimmanager und Mitglied des Verwaltungsrates des Deutschen Instituts für Compliance, der selbst über 20 Jahre in Industrieunternehmen unterschiedlicher Größen in leitender Funktion tätig war, beschrieb den Zielkonflikt, den Manager oft empfinden zwischen ihren Aufgaben und den Vorgaben des Compliance Managements. So sollen sie etwa unternehmerisch, agil und innovativ handeln, erleben Compliance aber oft als „Bremse“. Dabei wäre gerade das mittlere Management die entscheidende Zielgruppe für eine tragfähige Compliance-Kultur. Mit der Prüfformel „PLLOB“ (Kann eine Entscheidung an die Presse, entspricht sie der Leadership des Unternehmens, ist sie legal, was sagt Oma dazu und was mein Bauch?), so Gößwein, ließe sich die Überzeugung wecken, dass Compliance eine selbstverständliche und notwendige Management-Aufgabe ist.
Eine ganz andere Perspektive brachte Alexandra Caterbow, Co-Direktorin der NGO HEJSupport, in die Tagung ein. „Als Nichtregierungsorganisation haben wir zum einen oft eine Watchdog-Funktion, zum anderen sind wir Informationsbroker. Denn die richtige Information zur richtigen Zeit bei der richtigen Person kann viel bewirken.“ Im Textilbündnis, in dem sie die NGOs in der Arbeitsgruppe zu Chemikalien in der Textil-Wertschöpfungskette vertritt, heißt das etwa, zu verdeutlichen, wo gefährliche Chemikalien direkt die Gesundheit von Arbeiterinnen, Verkäuferinnen und Verbrauchern gefährden. Dabei geht es um konkrete Schicksale von Menschen. „Es ist für uns eine moralische Verpflichtung, diese Schicksale an Entscheidungsträger heranzutragen, weil wir diese Menschen kennen. Oft wird nämlich in den internationalen politischen Prozessen auf EU- oder UNO-Ebene, in denen wir mitwirken, vergessen, dass es immer um konkrete Menschen geht.“
Von ganz anderen konkreten Menschen berichtete Dr. Nico Herold vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie der Juristischen Fakultät der LMU München, am Abend. Nach einem Einspieler von „Citizenfour“, dem Dokumentarfilm über Edward Snowden, beschrieb er, was Whistleblower antreibt. „In der Regel sind sie rational-pragmatische Typen oder ethisch-proaktive.“ Während die einen die Aufdeckung von betrieblichem Fehlverhalten planvoll vollzögen und stärker ihren eigenen Vorteil im Blick hätten, agierten die anderen eher aus einer inneren Überzeugung, die sie in oft kopfloser Weise dazu dränge, kriminelles Verhalten öffentlich zu machen. Um Whistleblowing zu nutzen und zu steuern, haben inzwischen viele Firmen Meldesysteme etabliert. Diese gewährleisteten aber nicht, dass nachhaltige Veränderungen eintreten. „Wesentlich ist, was mit Meldungen passiert. Am meisten zeigen Informationen zu Fehlverhalten Wirkung, das einen Reputationsschaden nach sich ziehen kann.“, so Herold.
Nach der Morgenandacht präsentierten Dr. Roland Pelikan vom kda Bayern und Constanze Sigl eine konkrete Möglichkeit, „Management der Moral“ zu lernen. Das Programm „Seitenwechsel“ ermöglicht Führungskräften, eine Woche in einer sozialen Einrichtung mitzuarbeiten. Diese Fremd-Erfahrung, in der sie in einem anderen Rahmen mit anderen Menschen und in einer anderen Rolle tätig sind, öffnet Möglichkeiten der Selbstreflexion als Person und Führungskraft, die in einem Transfertag bearbeitet werden. So berichten Teilnehmer*innen, wie sie ihre eigenen Wertvorstellungen, Vorurteile und Verhaltensmuster hinterfragt haben, wie sie Ängsten begegnet sind und sie überwunden haben, wie sie geerdet wurden und eine neue Dankbarkeit für ihre eigene Situation gewonnen haben.
Im Rahmen eines Wertezirkels arbeiteten die Teilnehmer*innen im Anschluss selbst an der Frage, wie Management der Moral aussehen könnte. An drei Stationen in jeweils neu gemischten Gruppen reflektierten sie im Austausch miteinander, was es braucht, damit Werte im Unternehmen gefunden, verankert und eingehalten werden können.