Ein Stück Rettung

Es ist ein wenig Zeit auf der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) in Ulm. Während die Synodalen sich besprechen, habe ich die Möglichkeit, die anderen Stände der Initiativen, Einrichtungen und Verbänden anzuschauen.

Viel Gewohntes gibt es, viele Bücher und Schriften sind ausgestellt, jeder versucht mit einem speziellen Eyecatcher auf sich aufmerksam zu machen.

Am Stand von „united4rescue“ bleibe ich stehen. Der Stand mit den Seesäcken und Rettungswesten zieht mich an. An der Wand ist funkelnd eine goldglänzende Rettungsdecke befestigt. Immer wieder unterstütze ich diese Initiative privat und ich möchte mir nur kurz ein Info-Blatt holen. Ein kurzes Nicken zu den Menschen am Stand, ein freundliches Lächeln, ich nehme mir Flyer und Aufkleber und ziehe weiter. Da kommt mir ein junger Mann hinterher und bittet mich, kurz stehen zu bleiben.

Er drückt mir lächelnd eine weiße Faltkarte in die Hand. Darin ist lediglich ein kleines Stück golden schimmernde Rettungsdecke. Kein Text. Nichts.

„Ich wollte Ihnen die Karte gerne mitgeben. Irgendwann brauchen wir alle schließlich mal ein Stück Rettungsdecke, oder?“

Ich starre ihn an, starre die Karte an. Irgendwann brauchen wir alle mal ein Stück Rettungsdecke… So einfach sagt das der junge Mann und so recht hat er doch.

Ja, irgendwann brauchen wir das, irgendwann werden wir alle so ein Stück Rettungsdecke brauchen. Von Rettungsschirmen für Banken, Firmen und dahinsiechenden Industrien sind die Schlagzeilen voll. Die Zahlen, die da dahinterstehen, sind für viele nicht fassbar. Rettungsschirme sind ein großes Wort in der Politik, das klingt nach unabwendbar, elementar, nicht verhandelbar.

Aber eine Rettungsdecke?

Das ist etwas Anderes. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Zeitungen und Medien voll sind von Meldungen über Rettungsdecken. Ja, immer wieder sieht man sie auf Bildern: bei Katastrophen, bei Unglücken, wenn unfassbare menschliche Schicksale erlebt und ertragen werden müssen.

Unglaublich dünn ist sie, diese Rettungsdecke, sehr leicht und verpackt, unscheinbar und schnell zu übersehen. Und doch hilft diese Rettungsdecke, aufmerksam zu machen, kann entscheidende Zeit geben. Bevor Unterkühlung oder Schlimmeres eintritt, kann sie Leben retten.

Und, so denke ich mir, als ich das zerknitterte Stück Goldfolie in der Karte anschauen, diese Folie gibt ein Stück Schutz ihrer Würde, dass Menschen in einem Unglück nicht gänzlich nackt sind an Leib und Seele. Und aktuell gibt es so viele Momente und Orte auf dieser Welt, wo die Würde des Menschen, die Unversehrtheit, das Leben bedroht werden; wo sich Stimmen erheben, viel zu laut, viel zu grell, viel zu reißerisch, um gegen andere Hautfarben, andere Religionen zu hetzen; wo sich Hass breitmacht und mich manchmal der Mut verlässt gegen diesen lauten Hass weiter anzugehen.

Es sind oft nicht die großen, lauten Rettungsschirme, die diese Welt am Laufen halten.

Nein, es sind die kleinen, verknitterten, unscheinbaren Rettungsdecken, die es braucht. Um weiter Kraft und Überzeugung zu finden, anderen Menschen zu helfen, für andere da zu sein, selbst ein Stück Rettungsdecke zu werden – oder selbst sich einzugestehen, dass man ein kleines Stückchen Rettungsdecke braucht. Gerade wenn man das Gefühl hat, dass es immer kälter wird in dieser Welt, in unserer Gesellschaft, sollten wir uns einander klar machen, was der christliche Auftrag ist. Uns die Bedeutung der sieben Werke der Barmherzigkeit ins Gedächtnis holen (s. Matthäus 25,31-46). Und uns im Klaren sein:

Irgendwann brauchen wir alle einmal ein Stück Rettungsdecke.

Diakon Ulrich Gottwald, kda Regionalstelle Augsburg

Foto: kda Bayern

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