Mobbing ernst nehmen! Sozialpolitischer Buß- und Bettag in München

MÜNCHEN. Mobbing macht Menschen krank. Aber was kann man dagegen tun? Mobbingberaterin Siglinde Lösch und die ehemalige Landtagsabgeordnete Diana Stachowitz gaben Antworten beim Sozialpolitischen Buß- und Bettag in der Münchner Evangeliumskirche.

Mobbing kann an vielen Orten passieren: zum Beispiel am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verein, in der Nachbarschaft oder im Internet. Menschen, die über längere Zeit gezieltes Mobbing erleben, werden in ihrem Selbstwertgefühl empfindlich verletzt und oft auch regelrecht krank. Mobbing führt zu individuellem Leid und in den schlimmsten Fällen sogar zu menschliche Tragödien, bis hin zum Selbstmord. Es stellt aber auch ein gesellschaftliches Problem dar, schon allein im volkswirtschaftlichen Sinne, denn mobbingbedingte Fehlzeiten verursachen in den Unternehmen Millionenschäden.

Kooperation mit Mobbing-Anlaufstelle

Was also tun bei dauerhaften Feindseligkeiten? Das war die Leitfrage beim diesjährigen Sozialpolitischen Buß- und Bettag, den wieder Pfarrer Felix Reuter, Dekan im Prodekanat München Nord, gemeinsam mit Pfarrer Peter Lysy, Leiter des kda Bayern, organisierte. In diesem Jahr war die Mobbing Beratung München dritte Kooperationspartnerin. Sie feierte kürzlich erst ihr 30jähriges Jubiläum.

Eskalation in neun Stufen

Referentin Siglinde Lösch berichtete aus ihrer langjährigen Praxis als Mediatorin, in der sie bereits mit vielfältigen Mobbingfällen konfrontiert war. Sie prüfe immer anhand der neustufigen Konfliktskala nach Glasl, wie schwer ein Fall sei. Auf den vergleichsweise harmlosen Stufen eins bis drei könnten sich die Betroffenen noch selbst helfen. Ab Stufe vier sollten Dritte hinzugezogen werden, zum Beispiel professionelle Mediatorinnen oder Betriebsräte. Mit jeder Stufe gerate ein Konflikt stärker von der Sach- auf die Beziehungsebene, der Lösungswille werde geringer, die Angriffe heimtückischer. Auf Stufe neun komme es zu kriminellen Handlungen, da helfe dann nur noch die Polizei. Lösch sagte, sie prüfe bei allen Klientinnen auch, wie schwer die Folgen des Mobbings bereits seien. Alarmzeichen seien zum Beispiel Schlaflosigkeit, Tinnitus oder Suizidgedanken.

„Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren!“

Mobbing könne wirklich jeden Menschen treffen, sagte Lösch, die konkrete Beratung orientiere sich am einzelnen Fall. Aber die Konfliktberaterin gab auch allgemeingültige Tipps: Man müsse Mobbing sehr ernst nehmen und möglichst früh angehen, am besten mit professioneller Hilfe. Dies sei besser, als das Problem zu stark mit der Familie oder dem Freundeskreis zu teilen, da sonst auch noch dieser Lebensbereich davon belastet sei. Ratsam sei es außerdem, ein Mobbingtagebuch zu führen. „Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren!“, riet Lösch. Gerade im Falle einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung müssten Vorfälle gut belegt sein, damit ein Prozess nicht ausgehe wie das Hornberger Schießen. Beim Mobbing am Arbeitsplatz solle man sich der Strukturen, Regeln und Sanktionen bedienen, die es dafür in der Arbeitswelt gebe. Bei Mobbing in der Schule gehe es dagegen eher darum, dass Lehrkräfte und Schulleitung ins intensive Gespräch mit den Beteiligten kommen – Sanktionen wie Schulverweise zeigten hier seltener Wirkung. Sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Schule ließen sich wirkungsvolle Methoden gegen Mobbing installieren: etwa Konfliktlotsen und Hinweisgebersysteme oder in der Schule die „Friedenstreppe“ und der „No Blame Approach“.

Lobbyarbeit für Mobbing-Report

Die zweite Referentin des Abends, Diana Stachowitz, gab aus gesellschaftspolitischer Perspektive Antworten auf das Problem. In den Schulen gehe es insbesondere darum, die Lehrkräfte entsprechend fortzubilden, damit sie kompetenter mit Mobbing unter Schülerinnen und Schülern umgehen könnten. Dasselbe gelte für Führungskräfte im Unternehmen. Ebenso sei eine Stärkung der Rechte von Betriebs- und Personalräten wichtig, damit diese wirksam gegen Mobbing oder auch „Bossing“ –also Mobbing durch Chefs – vorgehen könnten. Es brauche mehr Geld für Reha, aber auch für Prävention und Beratung, etwa für die unverzichtbaren Anlaufstellen für suizidgefährdete junge Menschen. Die langjährige Landtagsabgeordnete der SPD rief dazu auf, politische Lobbyarbeit für den im Koalitionsvertrag angekündigten bundesweiten Mobbing-Report zu machen, denn der stehe in Gefahr, dem aktuellen Sparzwang zum Opfer zu fallen.

„Wir brauchen wieder mehr Bereitschaft, anderen Menschen zuzuhören!“

Insgesamt, so Stachowitz, die 15 Jahre lang Mitglied des Bayerischen Landtags war, gehe es auch darum, gesellschaftliche Strukturen, die Mobbing begünstigten, in den Blick zu nehmen. So setze zum Beispiel der rasante Wandel der Arbeitswelt Menschen unter Stress. In den Echokammern des Internets entstünde viel Hass. „Wir brauchen wieder mehr Bereitschaft, anderen Menschen zuzuhören!“, forderte die evangelische Politikerin, die auch Vorsitzende des Forums „Kirche und SPD“ ist. Hier könnten die Kirchen eine wichtige positive Rolle einnehmen, insbesondere mit ihren vielfältigen Seelsorgeangeboten.

Teilnehmende berichten von eigenen Mobbingerfahrungen

In der anschließenden, von Peter Lysy moderierten Diskussion sprachen Menschen aus dem Publikum eigene Mobbingerfahrungen an und fragten nach Möglichkeiten der Prävention, etwa zur Verhinderung von Cybermobbing im Internet.

Zum Abschluss der Veranstaltung hielt Felix Reuter eine Andacht zum Buß- und Bettag, die wichtige Gedanken aus der vorangegangenen Diskussion aufnahm. Dafür zog das Publikum in den stimmungsvollen Sakralraum der neu gestalteten Evangeliumskirche („Diakoniekirche“) um.

Bild: kda Bayern

Wandel der Arbeitswelt, Betrieb, Konflikt

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