Froggen

Müßiggang ist ja eigentlich das Gegenteil von Arbeit: Hier das zielgerichtete Tun, um bestimmte Dinge zu erreichen, z.B. die Produktion von Gütern oder Dienstleitungen, dort das zweckfreie Sein, das Nichts-Tun ohne Ziel. Der Müßiggang ist einfach da, ist keine Erholung vom schwerem Tun. Das wäre ja wieder eine Funktion. Arbeit macht man, dem Müßiggang gibt man sich hin.

Aber der Mensch wäre doch nichts ohne seine Gabe, Dinge miteinander zu verbinden, die in der göttlichen Ordnung anders angelegt waren: Speck und Ahornsirup, Pizza und Ananas, Alice Schwarzer und der politische Diskurs. Manches davon schmeckt, wenn man es zusammenbringt, überraschend gut und manches funktioniert eher weniger.

Da wäre es doch gelacht, wenn nicht irgendwer den Versuch unternommen hätte, zweckfreies Sein und Arbeit zusammenzubringen, dann dem Ganzen noch einen sehr funktional-präzisen Namen zu geben, diesen in eine handliche Abkürzung zu packen und fertig ist: F.R.O.G. Der „Firmenrundgang ohne Grund“.  Das passende Verb wäre dann das putzig-sportliche „Froggen“.

Sind Sie schon einmal gefroggt? Also haben Sie sich während Ihrer Arbeitszeit mal auf einen grundlosen Rundgang durch die Firma gemacht? Bitte vergessen Sie dabei nicht, dass niemand mitbekommen sollte, dass gerade gefroggt wird. Obligatorisch sind dafür eine gewisse Anzahl irgendwelcher Unterlagen und ein geschäftiger Blick. Denn es ist beim Froggen wie mit dem Müßiggang: Wer es nicht praktiziert, wird es nicht verstehen und das Froggen für einen Ausdruck von Faulheit oder Unterbeschäftigung halten. Soweit die Regeln.

Bevor nun die Personaler*innen und Betriebsleiter*innen unter Ihnen mir subversive Aktionen im Andachtsgewand vorwerfen – es gibt natürlich auch positive Nebeneffekte, die für solche Rundgänge ohne Grund sprechen. Wie der Müßiggang können sie den Blick öffnen für das Unvorhergesehene, für das, was sonst gerne ausgeblendet wird.

„Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde (Jesaja 43, 18-19).“ In der Beziehung zu Gott geht es auch immer wieder darum, sich fallen zu lassen, geführt zu werden, um die ausgetretenen, menschlichen Wege zu verlassen und neue Perspektiven zu gewinnen.

Je mehr wir uns auf Ziele und Prozesse konzentrieren, desto mehr fokussieren wir uns. Und Fokus verengt den Blick. Doch wenn ich ohne konkreten Anlass wahrnehme, was um mich herum passiert, den Blick schweifen lasse, bekomme ich Einblicke jenseits jeder Tagesordnung, in das, was tagtäglich an den Orten unserer Arbeit ganz nebenbei passiert. Vielleicht finde ich dort einen zufälligen Hinweis auf das nächste Projekt, begegne einer Kollegin, mit der sich meine Wege sonst nicht kreuzen würden oder bekomme Einblicke in Prozesse, die ich eigentlich nur aus Flowcharts oder Lieferscheinen kenne.

Ich rate Ihnen jetzt nicht, wenn Sie das nächste Mal ein bisschen von der Arbeit abschweifen, doch mal den Blick auf das Smartphone durch einen kurzen Rundgang zu ersetzen und zu schauen, was passiert. Ganz sicher nicht rufe ich Sie zur Bummelei bei der Arbeit auf. Wo kämen wir denn da hin? Ich lasse Sie nur daran teilhaben, was mir im Gespräch mit Menschen für interessante Dinge begegnen.

Martin Deinzer, kda Nürnberg

Foto: bulentbaris / canva

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