Sozialpolitischer Buß- und Bettag: Den Wandel schaffen – nur welchen?

NÜRNBERG. In einer Gesellschaft, die sich immer schneller an veränderte Bedingungen anpassen muss, gilt es, die richtigen Maßnahmen zu finden und umzusetzen. Eine sehr kurzfristige Anpassung war auch beim sozialpolitischen Buß- und Bettag 2021 nötig. Normalerweise mit Vielen in der St. Peterskirche in der Nürnberger Südstadt, wurde er aufgrund der aktuellen Coronalage von den veranstaltenden Organisationen ins Digitale verlegt. Rund 90 Teilnehmer*innen verfolgten einen spannenden Vortrag des Salzburger Zukunftsforschers Hans Holzinger und ein anschließendes Podiumsgespräch mit Johann Horn von der IG Metall. Schon das zeigt: Ein Wandel muss kein Abstrich an Qualität sein.

Zwischen klimapolitischer Notwendigkeit und wirtschaftlichen Möglichkeiten

„Der Zeitpunkt für diesen sozialpolitischen Buß- und Bettag ist gut gewählt“, eröffnete der Leiter der Evangelischen Stadtakademie Ekkehard Wohlleben die Veranstaltung, „denn wir haben gerade die Weltklimakonferenz in Glasgow hinter uns.“ Alle würden wissen, dass die Ergebnisse von Glasgow nicht ausreichen, um das Ziel der 1,5 Grad zu erreichen, aber gleichzeitig sind alle froh, dass die Staaten der Welt im Gespräch bleiben. Bald stellt die Ampelkoalition ihren Koalitionsvertrag vor und es wird spannend, „in wie weit die neue Regierung entscheidende Schritte auf das Ziel 1,5 Grad zugeht und ob wir in der Gesellschaft große Schritte gehen können, diese Transformation angehen zu können.“ Der sozialpolitische Buß- und Bettag stehe im selben Spannungsfeld zwischen dem, was klimapolitisch notwendig ist und dem, was sozial- und wirtschaftspolitisch erreichbar scheint.

Systemwandel oder Systemwechsel?

Eine wichtige Fragestellung im Blick auf den Wandel unserer Welt ist für Holzinger, ob es bei Reformen des bestehenden Systems bleibt oder zu umfassenden Transformationen komme. „Das Wesen der aktuellen, industriellen Produktionsweise liegt darin, dass wir immer mehr Güter mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft herstellen können. Ein Phänomen, das durch Automatisierung und Digitalisierung nochmals zugespitzt wird. Massenkonsum ist nicht zu denken ohne Massenproduktion. Verbunden ist diese mit einem massiven Zugriff auf die Ökosysteme“, so der Zukunftsforscher. Dies betrachte er als „Produktivitätsfalle“, die ein Wirtschaftssystem fördere, das nicht nachhaltig sein könne. Die Debatte bei der Transformation dieses Systems verlaufe zwischen einem Systemwandel und einem grundlegenden Systemwechsel. Erschwert werde diese Debatte durch die Schwierigkeit, Gemeingüter wie das Klima betreffende Prozesse zu gestalten, da in unseren Gesellschaften und unserer Form des Wirtschaftens viele Partikularinteressen eine starke Rolle spielen. Die Ziele einer De-Karbonisierung und einer besseren Verteilung der Produkte erforderten einen grundlegenden Pfadwechsel und eine umfassende Selbstbegrenzung. Eine sogenannte Ökosoziale Marktwirtschaft, in welcher der öffentliche Sektor wieder mehr Bedeutung bekommt, ist seiner Ansicht nach hier ein geeignetes Modell, die Transformation zu gestalten.

Über Wandel reden, heißt über Menschen reden

Obschon er in „vielen Punkten keine Differenzen sehe, blieben dennoch eine ganze Reihe von notwendigen Debatten, die man führen müsste“, verdeutlichte der Bezirksleiter der IG Metall Bayern, Horn in der Eröffnung seiner Antwort auf den Vortrag. Auch dieses breite Bündnis des sozialpolitischen Buß- und Bettages sei notwendig, um den Umbruch der Technologie, v.a. der Digitalisierung voranzubringen und die ökologische Situation in Deutschland und der Welt zu verbessern. Bei der Wirkungsweise des ökonomischen Systems und auch bei der Idee einer Drei-Tage-Woche kann man sich auf jeden Fall annähern, doch es gäbe noch einige wichtige Diskussionen zu führen. 1,3 Millionen Menschen arbeiten in der verarbeitenden Industrie, ein sehr großer Teil in der Automobil- und Zulieferindustrie. „Wenn wir von einem sozial-ökologischen Wandel reden, dann reden wir auch von ganz vielen Menschen“, so Horn. „Wir können etwas tun, und wir haben auch klare Vorstellungen als IG Metall, wie wir den ökologischen Wandel auch zu einem sozialen und demokratischen Wandel machen können. Wir nennen das einen fairen Wandel.“ Ein starker Industriestandort Deutschland mit sicheren Arbeitsplätzen sei in seinen Augen kein Widerspruch zum ökologischen Wandel.
Ein Kernthema dabei sei die Frage der Mitbestimmung in den Unternehmen. „Auch wenn wir als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten sitzen, entscheiden am Ende immer die Anteilseigner. Die Mitbestimmung greife also erst, wenn die Unternehmen entschieden haben, was, wo und wie sie etwas produzieren. Eine Art Wirtschaftsdemokratie, wie von Holzinger beschrieben, könne ein Modell sein, um durch paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten den Beschäftigten Sicherheit und Orientierung zu geben. Diese Orientierung brauche es aber, um den sozial-ökologisch Wandel auch mitzugehen und mitzugestalten. Viel würde gerade z.B. für die Erforschung von Bau, Infrastruktur und Nutzung von neuen E-Autos investiert. Doch es gäbe noch kein „industrielles System zum Recycling von diesen Batterien.“ Wenn hier kein Fortschritt gemacht würde, könnte die E-Mobilität nicht funktionieren und somit auch keinen positiven Beitrag zur ökologischen Transformation leisten.

Leben mit Genug als Weg zu gutem Leben und Arbeiten?

Holzingers Thesen von einem Lebensstil der Suffizienz, also des „Genugs“, passe gut zum christlichen Menschenbild, „nichts haben oder erwerben zu müssen, um etwas zu sein“, so Dekanin Britta Müller in der anschließenden Diskussion.
Doch wie kommt man zu dieser Verhaltensänderung in der Begegnung und dem Wirtschaften? Verteilungsgerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzung zur Vier-Tage-Woche und gutes, selbst- und mitbestimmtes Arbeiten mit sicheren Perspektiven waren hier Stichworte von beiden Referenten. Gute Qualität bei Produkten dürfe nicht verhindert werden durch Armutsargumente, sondern durch eine gute Sicherung und Entlohnung für alle zugänglich gemacht werden. So entsteht ein Kreislauf aus gutem Arbeiten und gutem Leben. Die Angst, aufgrund des Wandels die Arbeit zu verlieren, würde die Gesellschaft spalten.
Das Publikum als weitere Diskussionsteilnehmende beschäftigte vor allem die Veränderungschancen in einer individualisierten Gesellschaft, die Qualifikation von Führungskräften hin zu einer ökologisch-sozialen Kompetenz und die direkten Auswirkungen auf den oder die Einzelne*n im Hinblick auf den Mobiliätswandel. In seinem Schlusswort stellte Andreas Lurz, katholischer Stadtdekan von Nürnberg, das Gehörte in einen Zusammenhang mit der Enzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus. „Die menschliche und die natürliche Umwelt verschlechtern sich immer gemeinsam“, so zitierte er das Oberhaupt der katholischen Kirche. Die Ursachen müssten angegangen werden und ein ökologischer Wandel sich immer in einen sozialen Ansatz verwandeln, der Gerechtigkeit aufnehmen müsse. Die Klage der Armen müsse ebenso gehört werden wie die Klage der Erde. „Alles gehört zusammen.“

Der Sozialpolitische Buß- und Bettag wird jedes Jahr gemeinsam vom Evangelisch-Lutherischen Dekanat Nürnberg, dem DGB Mittelfranken, der Stadtmission Nürnberg, der Evangelischen Stadtakademie, der Katholischen Betriebsseelsorge, der Katholischen Stadtkirche, dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt und der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus veranstaltet.

(Foto: kda Bayern)

Politik, Gerechtigkeit, Wandel der Arbeitswelt, Ökologie, Mitbestimmung

Meldungsarchiv

Vorheriger Beitrag
Mit „Take Away“ zum Erfolg trotz Corona
Nächster Beitrag
Mache dich auf

Ähnliche Beiträge