Wer bietet mehr: Betriebsverfassungsgesetz oder Mitarbeitervertretungsgesetz?

BAYERN. Welche Unterschiede gibt es zwischen der Mitarbeitervertretung der Evangelischen Kirche und den Betriebsräten in der Privatwirtschaft? Die Frage ist nicht selten, aber eine kurze und präzise Antwort darauf ist gar nicht so einfach. Wir bringen Licht ins Dunkel.

Ob es sich um einen privaten Betrieb oder kirchlichen Träger handelt, gewählt wird die betriebliche Interessenvertretung ab fünf Mitarbeitenden/Arbeitnehmenden. Sie sind in beiden Gesetzen gleichermaßen zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Dienststellenleitung bzw. dem Arbeitgeber verpflichtet. Auch weisen beide Rechtssysteme den Gremien Mitbestimmungsrechte in unterschiedlicher Abstufung der Stärke zu. Als wichtigste Voraussetzung haben Betriebsräte und Mitarbeitervertretungen (MAV) gleichermaßen einen Anspruch darauf, rechtzeitig und umfassend über alle betrieblichen Angelegenheiten, für die sie zuständig sind, unterrichtet und informiert zu werden. Die Informationsrechte unterscheiden sich also formal nicht. Aber bei der Realisierung gibt es große Unterschiede. Ein Betriebsrat (BR) kann beispielsweise bei wiederholten Verstößen des Arbeitgebers das staatliche Arbeitsgericht anrufen. MAVen haben diese Möglichkeit nicht.

Größe und Ausstattung von MAV und BR

Je mehr Arbeitnehmende, desto mehr Mitglieder hat das Gremium. In Einrichtungen ab 50 Beschäftigten ist die Zahl der MAV-Mitglieder regelmäßig kleiner als die Zahl von BR-Mitgliedern. Neben der Befreiung von ihrer beruflichen Tätigkeit bei Erfüllung der Gremienaufgaben gibt es formale Freistellungen einzelner Mitglieder ab 151 Mitarbeitenden im MVG.EKD (Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD) im Umfang einer halben Stelle. Ab 200 Beschäftigten werden auch Betriebsräte freigestellt und verfügen dann regelmäßig über 0,5 bis 1,5 mehr Freistellungen als ihre kirchlichen Kollegen*innen. Dass Frauen und Männer entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Betrieb bei der Wahl zur Interessenvertretung berücksichtigt werden, ist nur im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vorgesehen.
Jedes Mitglied hat einen Schulungsanspruch: Den MAVen stehen dafür höchstens vier Wochen pro Amtsperiode zur Verfügung, Betriebsräte können sich über das Kontingent von drei Wochen für allgemeine BR-Arbeit hinaus  – zeitlich nicht begrenzt – fortbilden, wenn dies betrieblich erforderlich notwendig ist.

Mitbestimmung in organisatorischen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten

Das Mitbestimmungsspektrum der MAV in organisatorischen und sozialen Angelegenheiten ist in 13 Regelungsbereichen, wie beispielsweise bei der Lage der Arbeitszeit, Ordnung des Betriebes oder Einführung neuer Arbeitsmethoden, gleich. Darüber hinaus sieht das BetrVG sieben weitere Bereiche der Mitbestimmung vor: Quantitative Veränderungen der betrieblichen Arbeitszeit, Zeit, Ort, Art der Auszahlung des Gehaltes, Festsetzung von Prämien, Grundsätze betriebliches Vorschlagswesen, Grundsätze zur Gruppenarbeit und Ausbildung von Azubis. Das kirchliche Recht räumt hingegen der MAV Mitbestimmung in drei weiteren Bereichen ein: Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung, Veranstaltungen für die Mitarbeitenden, Grundsätze Mitarbeitendenjahresgespräche.

Für die Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten mit dem Arbeitgeber schreibt das BetrVG die Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmenden (AN) vor. Neben weiteren detaillierten Regelungen sind hierfür monatliche Sitzungen vorgesehen. Im MVG.EKD ist die Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses lediglich als „Kann-Bestimmung“ für diakonische Einrichtungen möglich mit einem jährlichen Sitzungsturnus.

Beteiligungsrechte bei Kündigungen

Bei ordentlichen Kündigungen ist das eingeschränkte Mitbestimmungsrecht der MAV formal stärker als das Anhörungsrecht des Betriebsrates. Der Dienstgeber ist demnach auf die Zustimmung der MAV oder Ersetzung der MAV-Zustimmung durch das Kirchengericht angewiesen. Ein Widerspruch der MAV ist jedoch nur dann möglich falls die Kündigung gegen geltendes Recht verstößt. Anders beim Betriebsrat: Der Widerspruch einer Kündigung hat zwar keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung. Allerdings hat der Gekündigte aufgrund des BR-Widerspruches das faktische Recht bis zur endgültigen Klärung weiterbeschäftigt zu werden.

Durchsetzung von Rechten und Verhandlungsposition bei Konflikten

Der Mitarbeitervertretung steht zur Klärung von Konflikten die Anrufung des Kirchengerichtes zur Verfügung. Es entscheidet nur auf Antrag bei Rechtsverletzungen und beschließt keine eigenen Regelungen. Seit 2013 ist dem Kirchengericht auch die Verhängung von Ordnungsgeldern möglich. Aber es fehlen im kirchlichen Bereich effektive Vollstreckungsmöglichkeiten. Neu ist seit 2020 die Möglichkeit der Anrufung einer innerkirchlichen Einigungsstelle.
Betriebsräte wenden sich im Konfliktfall an die betriebliche Einigungsstelle für eine innerbetriebliche Schlichtung von mitbestimmungsrelevanten Angelegenheiten. Ansonsten sind die staatlichen Arbeitsgerichte zuständig, die auch Sanktionsmittel und Vollstreckungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der Entscheidungen (z. B. bei wiederholten Verstößen) verfügen.  Aufgrund des schwächeren Rechtsschutzes der MAVen ist die Verhandlungsposition der Betriebsräte im Vergleich zu den MAVen stärker.

Unternehmensmitbestimmung

Im kirchlichen Bereich gibt es keine Unternehmensmitbestimmung analog zur gesetzlich verankerten Beteiligung der Arbeitnehmenden der Privatwirtschaft in Aufsichtsgremien (Aufsichtsrat) gemäß dem Drittelbeteiligungsgesetz (ab 500 AN) oder dem Mitbestimmungsgesetz (ab 2.000 AN). Es gibt lediglich seit 2017 eine freiwillige Verbandsempfehlung für diakonische Einrichtungen zur Unternehmensmitbestimmung. Eine derartige Beteiligung ermöglicht der Belegschaft Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen.

Rolle der Gewerkschaften

Gewerkschaften sind ein integraler Bestandteil des BetrVG. Es ermöglicht ihnen als branchenspezifische Arbeitnehmervertretung auch betriebliche Zugangs-, Beratungs- und Klagerechte. Gewerkschaften sind kein Bestandteil des MVG.EKD wegen des sogenannten Dritten Weges. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht seit 2012 Zugangsrechte für die Gewerkschaften (beispielsweise Schwarzes Brett, Teilnahme an MVs) ermöglicht. Die für die Kirchlichen Träger zuständige Arbeitsrechtliche Kommission übernimmt regelmäßig die mit ver.di ausgehandelten Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes.

Wer mehr dazu lesen möchte:

Baumann-Czichon, Berhard; Gathmann, Mira (2020): Kirchliche Mitbestimmung im Vergleich BetrVG – MVG/EKD – MAVO. Berlin.

Dr. Lührs, Hermann (2012): Mitarbeitervertretung und Betriebsrat im Vergleich – Unterschiede zwischen Betriebsverfassungsgesetz und Mitarbeitervertretungsgesetz. Stuttgart.

Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste (2012): Die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretungen nach kirchlichem Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht. Aktenzeichen WD 6 – 3000-053/12. Berlin.

Verglichen werden hier das für die Beschäftigte der Evangelischen Kirche und Diakonie in Bayern geltende Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche in Dtld. (MVG.EKD), mit dem für Beschäftigte der Privatwirtschaft geltenden Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

 

Darüber hinaus gibt es:
Für Beschäftigte in einigen anderen Landeskirchen der EKD gelten abweichende Gesetze.
Für Beschäftigte der Katholischen Kirche und Caritas gilt die Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO).
Für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gelten die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der jeweiligen Länder.

 

(Foto: FatCamera/Getty Images Signature via Canva)

Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, Arbeitnehmende

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