„Dem Rad in die Speichen greifen …“

Ich bin nahe Flossenbürg aufgewachsen, damals ein unscheinbarer Ort direkt am Eisernen Vorhang. Die jüngere Geschichte des Ortes als Standort eines der großen Konzentrationslager war nicht sofort offensichtlich. Dies war weitgehend so gewünscht. Einen groben Stachel der Erinnerung gab es: den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 zusammen mit namhaften Persönlichkeiten des militärischen Widerstandes ermordet wurde. Für uns als Heranwachsende war er nicht nur im persönlichen Leben und Glauben Vorbild, z.B. auch in der Berufswahl, sondern ein Schutzschild, hinter dem die Erinnerung an die grenzenlose Gewalt und Unmenschlichkeit der NS-Diktatur und insbesondere im KZ Flossenbürg wachgehalten oder auch wieder wachgerüttelt werden konnte.

Sein Satz „Man muss dem Rad in die Speichen greifen.“, weil Unrecht und daraus resultierende Gewalt als Christ nicht aus einer Beobachtungsposition heraus gesehen werden kann, war prägend für uns. Auch wenn der Satz mittlerweile inflationär gebraucht und durchaus missbraucht wird, möchte ich ihn nicht verschweigen. Im Kontext der Arbeitswelt gilt er uneingeschränkt und wird gerade auch von Menschen praktiziert, die Verantwortung für sich, für andere und das Ganze übernehmen, unabhängig davon, ob sie den christlichen Unterbau Bonhoeffers für sich im Blick haben. Aktuelles Beispiel ist das Wiedererstarken der Gewerkschaftsbewegung in den USA. Aber auch die soziale Anwaltschaftlichkeit, erwachsen aus dem Blick auf den leidenden Gott in Christus oder aus einem bewussten und glaubwürdigen Humanismus, finden sich in Bonhoeffers Aussage, „Man muss dem Rad in die Speichen greifen.“, wieder. Hier wirkt Dietrich Bonhoeffer als Vorbild weit über die Kirchen hinaus.

Aus meiner persönlichen Glaubenserfahrung und -überzeugung heraus, nehme ich den Unterbau von Dietrich Bonhoeffers Aussage „Man muss dem Rad in die Speichen greifen.“ in den Blick. Es ist die unabdingbare Nachfolge Jesu Christi. Bonhoeffer spricht in seiner Theologie auch von „teurer Gnade“. Gott beschenkt uns Menschen mit Befreiung und Zuwendung. Wir können und sollen auf dieses wunderbare Angebot antworten, Gottes Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit anderen und auch uns selber zu schenken. In unserer Lebens- und Arbeitswelt kann „Man muss dem Rad in Speichen greifen.“ aus meiner persönlichen Erfahrung folgendes bedeuten:

Man geht in Konflikte hinein, um Kolleginnen und Kollegen vor Ungerechtigkeit und Übergriffen zu schützen sowie gute Klärungen zu erreichen. Diese Rolle geht nicht ohne Verletzungen bei einem selber aus. Freundschaften und gute Verbundenheit geraten in Gefahr, zerbrechen sogar. „Dem Rad in Speichen greifen“ zum Schutz und zur Hilfe anderer ist schmerzhaft und trotzdem ohne Alternative.

Klaus Hubert, afa-Geschäftsführer + kda-Arbeitsseelsorger, Schweinfurt

 

 

 

 

 

Bild: Rick 734s Images via Canva 

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