Abschiedsspiel

„Wurde ja Zeit, dass die das geschafft haben!“, höre ich jemanden neben mir sagen. Es ist Wochenende, strahlender Sonnenschein und erwartungsfroh stehe ich im Fußballstadion. „Ja, es hat wirklich lange gedauert, bis dieser verdiente Spieler die Möglichkeit zum Abschied bekommen hat.“, denke ich mir. Beim Blick auf das Spielfeld überlege ich, wir oft eigentlich Neuanfänge begrüßt werden, ein Neustart gefeiert wird.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“, hat ja auch schon Hermann Hesse gesagt. Und natürlich, da ist was dran: neugierig sein auf das, was kommen wird.

Ist unser Leben also immer die Suche nach Neuem?

Oder ist nicht viel öfter ein Abschied unser tägliches Geschäft, z.B. der Abschied vom Urlaub, der Abschied vom Sommer, der Abschied von Freunden der auch jeden Morgen der Abschied von der wärmenden Bettdecke?

Was ist mit den vielen Schülern, für die vergangene Woche auch ein Abschied anstand, etwa der Abschied von einer gewohnten Umgebung, wenn es in eine neue Schule geht? Was ist mit den Lehrerinnen und Lehrer, die wieder 30 neue Schüler vor sich sitzen haben? Was ist mit den jungen Menschen, die eine Ausbildung beginnen oder ein Studium, vielleicht auch in einer neuen Stadt, anfangen?

Diese ganzen Neuanfänge wären nicht ohne einen Abschied möglich. Ist uns das eigentlich bewusst? Viele freuen sich, zu Recht, auf Neuanfänge und doch prägt uns das, was vorher war. Die alte Schule, der alte Betrieb, die alten Kollegen. Oft wird einem gar nicht bewusst, wie sehr solche Erfahrungen ein ganzes Leben oft prägen und beeinflussen können. Abschied… das klingt oft traurig. Niedergeschlagen.

Wenn ich von einem Menschen für immer Abschied nehmen muss, dann ist das traurig, schlimm, niederschmetternd. Aber sonst?

Wäre nicht ein Abschied auch etwas, was gefeiert werden sollte?

Nicht weil man froh ist, endlich etwas zu beenden, sondern für einen gemeinsamen Rückblick auf das, was war. Wie schlimm muss das für die jungen Menschen während Corona gewesen sein, keinen Abi-Abschluss gefeiert zu haben; für Ruheständler, dass keine Verabschiedung in einem Betrieb möglich war.

Abschied, so kommt es mir in den Sinn, ist eigentlich ein Muss, um Rückblick zu ermöglichen, um den Dank für Erreichtes, für gelungene Sachen eine Zeit und einen Ort zu geben. Dann kann etwa noch einmal über die eine oder andere komische Situation, die man erlebt hat, gelacht werden. Dann kann man sich beim Blick zurück vielleicht auch erinnern, wie es war, als man neu war. Wenn die Lehrer etwa „ihre“ Schüler, die sie oft über viele Jahre begleitet haben, verabschieden und sehen, was für Menschen, was für Persönlichkeiten aus jedem und jeder einzelnen geworden ist. Wenn man beim Rückblick von Kollegen noch einmal sehen kann, was in einem Betrieb geleistet worden ist, und auch das noch einmal erinnert, was nicht geklappt hat, wo es Enttäuschungen gab. Oft wird ja der Blick zurück verklärt nach dem Motto: „Früher war alles besser.“

Und während ich so stehe und diesem Gedanken nachsinne, sehe ich mit vielen anderen, wie beim Abschiedsspiel ein Spieler nach einem beherzten Lauf eine Flanke schlägt – hoch und weit, viel zu hoch und viel zu weit. Im allgemeinen Gelächter höre ich viele sagen: „Auch wie früher…“ Ich schmunzle. Ja, auch wie früher. Da hat auch so manches nicht geklappt. Und doch ist es schön, sich zu erinnern.

Zum Zauber eines Anfangs gehört vielleicht auch der Mut zum und die Gelassenheit nach einem Abschied. Bei allem, was also jetzt Neues kommt, erinnern sie sich gerne an das Schöne, das war. Quasi ihr persönliches Abschiedsspiel in der Sonne. Es müssen ja nicht immer 11.000 Menschen und ein Fußballstadion dafür notwendig sein.

Einen guten Abschied für einen guten Anfang wünsche ich Ihnen und bleiben sie behütet.

Diakon Ulrich Gottwald, kda-Regionalstelle Augsburg

Bild: U. Gottwald

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