Sonntagsschutz: „Wochenend‘ und Sonnenschein!“

Ob Sabbat, Sonntag oder Freitagsgebet – einen Tag in der Woche arbeitsfrei zu halten und innezuhalten, ist in vielen Religionen Tradition. Es dient dem Gebet, der seelischen Erhebung, der Gemeinschaft und der Befreiung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwängen. Die Sonntagsallianz hat sich den Schutz des wöchentlichen Feiertages auf die Fahnen geschrieben. 

Auf Bundesebene tragen Katholische Arbeitnehmerbewegung und Betriebsseelsorge, der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt und der Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Allianz. In den verschiedenen Bundesländern sind zum Teil noch weitere Bündnispartner dabei.

Wir haben drei der evangelischen Allianz-Aktiven zu einem Gespräch eingeladen: Ute Meier, Sozialsekretärin Regensburg, Nina Golf, wissenschaftliche Referentin Nürnberg – beide sind Mitglieder des Steuerungsteams der bayerischen Sonntagsallianz – und Annelies Bruhne, Geschäftsführerin von KWA und Referentin im kda Hannover, die Mitglied in der Bundesallianz und in der Allianz Niedersachsen ist.

Nina Golf: 

„Wir alle sind uns wohl einig, dass es die Sonntagsallianz als politisches Bündnis braucht und wir als Evangelische Kirche eine besondere Verantwortung gemeinsam mit den gewerkschaftlichen und katholischen Kollegen*innen für den Sonntagsschutz tragen.

Es geht darum, den Sonntag als soziale ‘Zeitoase‘ zu erhalten und Arbeitnehmerinnen vor Sonntagsarbeit, insbesondere im Einzelhandel zu schützen. Das klappt ganz unterschiedlich gut, da Ladenöffnungsgesetze Ländersache sind. Frau könnte sagen: ‘Je nördlicher, desto offener‘.“

Ute Meier:

„Ja, das ist richtig. In Bayern ticken die Ladenöffnungs-Uhren anders, aber auch hier ist die Sonntagsallianz kein Kaffeekränzchen, sondern setzt sich aktiv, notfalls auch vor Gericht für den Sonntagsschutz ein.

Grundsätzlich müssen Kommunen bei geplanten Sonntagsöffnungen an sogenannten Markttagen ein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Kirchen und Gewerkschaften werden um eine Stellungnahme angefragt. Unsere Stellungnahmen haben zwar keine Rechtsverbindlichkeit, sind aber hilfreiche Argumente im politischen Entscheidungsprozess. Hart auf hart geht’s dann, wenn rechtswidrig gehandelt wird: Bei großen Entfernungen vom eigentlichen ‘Markt‘ beispielsweise – wenn der Möbelriese, der im Industriegebiet weit weg vom Sonntagsmarkt seine Türen öffnet. Bei Unverhältnismäßigkeiten, wenn es nur ein Mini-Fest gibt, aber alle Geschäfte öffnen und der eigentliche Anlass nur Alibicharakter hat. Dann klagt ver.di. Und meistens erfolgreich, wie z.B. jüngst in Wolfratshausen bei Verstößen von XXX Lutz.“

Annelies Bruhne:

„Auf der Bundesebene ist die Allianz ein wirklich leuchtendes Beispiel für gelungene ökumenische und gewerkschaftliche Zusammenarbeit. Es ist wichtig, gemeinsam deutlich zu machen, dass der Mensch nicht für die Wirtschaft da ist. Wir haben uns an lange Öffnungszeiten gewöhnt. Aber es geht selbstverständlich auch anders.

Beim Sonntagsschutz geht es nicht nur um die krasse Entwicklung der Konsumgesellschaft, wo alles immer und sofort sein muss. Sondern es geht insbesondere um Arbeitsbedingungen.

Im Handel betrifft das mehrheitlich die Arbeitsbedingungen von Frauen. Bei euch in Bayern sind von den 500.000 Beschäftigten im Einzelhandel in Bayern 70% Frauen, die oft in Teilzeit arbeiten und sowieso schon in einem Zeitfenster von 40 Stunden abrufbar sind. Eine Sonntagsöffnung zerstückelt dann nur noch mehr die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, bzw. bezahlter und unbezahlter Arbeit.“

Nina Golf:

„Warum sollten wir am Wochenende arbeiten oder warum sollen andere für uns im Einzelhandel arbeiten? Reicht es nicht, Montag bis Samstag bis 20:00 Uhr einkaufen zu gehen? Argumente wie ‘Ich muss ja auch permanent Überstunden machen‘ oder ‘Ja, wieso denn nicht, wenn ich einkaufen will!‘ sind natürlich sozialethische Warnsignale.

Die Sabbattradition steht biblisch zum einen im Zusammenhang mit der Befreiung aus wirtschaftlichen und hierarchischen Zwängen, und gilt für alle: Nicht nur für den Hausherrn, sondern auch für Mägde und sogar für den Esel (lacht).

Zum anderen ergibt sich die Sonntagsruhe aus der Schöpfungsgeschichte: Gott ruht nach getaner Arbeit am siebten Tag.

Und lasst uns mal darüber nachdenken: Wann feiern wir Tante Ernas Geburtstag? Sonntags. Wann gibt’s die großen Kissenschlachten? Sonntags. Wann die Fahrradtour und Bergwanderung? Wann das gemeinsame Kochen und Essen? Wann die Familienkonferenzen? Wann das heiße Bad mit Buch und Beauty-Maske? Alles am Sonntag. Und wann kann man sich richtig streiten? Richtig, Weihnachten! Und das ist gut so. Und klar: Wann können wir Gottesdienst feiern? Sonntags!

Das könnte ewig so weitergehen und jede hätte eine andere Lieblingsbeschäftigung am Sonntag.

Warum sollten wir die also die wichtigste Zeitinsel der Woche ohne zwingenden Grund aufgeben?“

Annelies Bruhne:

„Du hast recht, eigentlich müsste da nichts wackeln. Auch juristisch ist der freie Sonntag eine Erfolgsgeschichte. Er ist vor allem aber kein Auslaufmodell aus dem vorherigen Jahrtausend.

Ganz im Gegenteil, der arbeitsfreie Sonntag könnte aktuell als soziale Innovation durchgehen, weil er nicht nur anschlussfähig ist an eine Resilienz-Suche in den derzeitigen Krisenzeiten, sondern auch an die Diskussion um die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit.

Dahinter steht das Bedürfnis und die Notwendigkeit, Erwerbsarbeit zugunsten von Care-Arbeit und anderen Tätigkeiten zu begrenzen. Und nicht alles Tun 24/7 der Verwertbarkeitslogik zu unterwerfen.

Früher war die Kirche sehr klar in ihrer Haltung. Leider beobachten und erleben wir, dass Gemeindepfarrer*innen sich in ihrer Gemeinde unsicher sind, wenn sie um eine Stellungnahme gebeten werden. Und lieber vor Ort einen Kompromiss finden wollen, weil er bequemer oder vermeintlich konfliktärmer ist. Da endet sie Sozialethik kurz hinter der Kirchentür.“

Ute Meier:

„Eine Zweigleisigkeit gibt es auch im öffentlichen Dienst. Früher gab es in Regensburg den Tag der offenen Tür, wo sich die Stadt und der Handel präsentierten. Der Tag lief unter dem Motto ‘Regensburgs schöne Töchter‘. Dieser wurde dann wieder abgeschafft, aber nur, weil die Stadt ihren Angestellten nicht mehr zumuten wollte, am Sonntag zu arbeiten.

Über die Handelsbeschäftigten hat aber niemand nachgedacht und der verkaufsoffene Sonntag findet aus einem anderen Anlass statt. Daran erinnere ich mich immer, wenn ich gen Wochenende etwas einkaufe.

Wenn mir das Verkaufspersonal ein schönes Wochenende wünscht, antworte ich ‘das Gleiche‘, aber mit dem Zusatz ‘was auch immer Ihnen davon bleibt‘.

Da kommen dann ganz unterschiedliche Reaktionen und das zeigt mir, dass es wichtig ist, an die Handelsbeschäftigten zu denken. Sie sind immer die ersten, die ihr Wochenende aufgeben müssen. “

Nina Golf:

„Ja, sogar Smart-Stores und Automatenläden, die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, brauchen Personal für Reinigungsarbeiten, Bestückung und Wartung.

Wie beim Arbeitszeitgesetz wird auch bei den Ladenöffnungszeiten die regulären Zeiten durch Ausnahmen ergänzt. Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion um ein neues Ladenschlussgesetz in Bayern mit mehr Shopping Nächte in Bayern.“

Annelies Bruhne:

„Je älter ich werde, desto heiliger ist mir der Sonntag.

Meinen Kindern nicht, die sind noch zu klein und leben am Zeitraster Schule versus Freizeit und würden einen verkaufsoffenen Sonntag nicht problematisieren. Ich schon, denn in Hannover ist die Innenstadt sehr stressig, ich bekäme bei jeder Person, die arbeiten muss, damit ich eine Tüte Milch einkaufen kann, ein schlechtes Gewissen. Ich brauche zusehends mehr Zeit zum Auftanken von der Arbeitswoche und schaffe es werktags kaum, Hobbies nachzugehen oder Freunde zu treffen. Ich bin also dabei, mir meine Sonntagskultur zu schaffen – nicht mit Sonntagsbraten und ehrlich gesagt auch nicht häufig mit Gottesdienstbesuch, dafür aber mit den schönen Dingen des Lebens, die sonst zu kurz kommen.“

Nina Golf:

„Ich war letzten Sonntag tatsächlich im Gottesdienst. Aber am liebsten mag ich den Samstag, nicht weil man einkaufen gehen kann, sondern weil ich weiß, der Sonntag kommt noch.“

Vielen Dank Ute, Nina und Annelies!

Zeitinseln müssen geschützt werden: Das Wochenende und der Sonntag, die Abendstunden und die Nacht, die Festtage und das Feiern. Der Sonntag ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sonntag – auch nicht für einen Sonntag mit antiquierten Traditionen. Wir brauchen ihn. Es liegt an uns, ihn zu schätzen und zu schützen.

Kontakt:

Wie kann ich mich für den Sonntagsschutz engagieren?
Wo finde ich Materialien für den Gottesdienst und gute Argumente?
Wo finde ich praktische Beispiele und rechtliche Hinweise zum Sonntagsschutz?
Was mache ich, wenn mein Pfarramt zur Stellungnahme von Sonntagsöffnungszeiten in meiner Gemeinde angefragt werde?
Kontaktieren Sie uns gerne!

Ute Meier, meier@kda-bayern.de 
Nina Golf, golf@kda-bayern.de
Annelies Bruhne, a.bruhne@kwa-ekd.de

Weitere Informationen:

Geschlechtergerechtigkeit, Zeit, Gerechtigkeit, Arbeitnehmende, Wandel der Arbeitswelt, Arbeitsbedingungen, Frauen, Sonntagsschutz, Familie

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