Als Pastor auf den Spuren der Arbeit anderer Menschen

BAYERN. Pfarrer Dirk Fanslau aus der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Hamburg-Eidelstedt hat sich im Rahmen eines dreimonatigen Sabbaticals auf die Spuren der Arbeit anderer Menschen begeben. Eine ganze Woche verbrachte er gemeinsam mit Mitarbeitenden des kda Bayern.

Auf der Suche

Einen Großteil des Lebens verbringen Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Ich als Pastor erlebe sie jedoch nur in ihrer Freizeit: im Gottesdienst, in verschiedenen kirchlichen Gruppen, bei Tauf- oder Beerdigungsgesprächen, im Kirchengemeinderat oder auf dem Gemeindefest. Daher machte ich mich im Rahmen meines 3-monatigen Sabbaticals auf die Spuren der Arbeit anderer Menschen. Was bewegt sie? Welche Arbeitsbedingungen prägen sie? In welche Strukturen sind sie eingebunden? Wie fühlt es sich an, wenn man kein Pastor ist, sondern Schlachter, Schiffsbauer oder Schichtarbeiter in einer Fabrik?

Faire Landwirtschaft und faire Arbeitsbedingungen

Vorbereitet durch Gespräche und die Dissertation „Ethik lernen in der Arbeitswelt“ von Dr. Pelikan (kda Regionalstelle München) ging es zunächst mit Diakon Stefan Helm (Fachstelle Kirche und Handwerk) zu einem Betriebsbesuch bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn. Wir erhielten eine Führung durch den Ökolandwirtschaftsbetrieb, auf dem 800 Schweine in Freilandhaltung mit Bio-Futter aus eigenem Anbau gemästet sowie in der eigenen Metzgerei geschlachtet und sofort verarbeitet werden. Anschließend hatten wir Gelegenheit zum Gespräch mit Sophie Schweisfurth, die zusammen mit ihrem Ehemann am 1. Mai 2018 die Geschäftsführung übernommen hatte. Es bestand große Offenheit, sich über Themen des Arbeitslebens auszutauschen: Über eine neue Sicht auf das Problem der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie durch den Generationswechsel in der Geschäftsführung; über die Konkurrenz zwischen Bio-Produzenten und die Grenzen des Wachstums; über die Frage, ob „faire Landwirtschaft“ auch „faire“ Arbeitsbedingungen“ für die Mitarbeitenden bedeutet.

Diskussion um Selbstoptimierung

Es folgte ein Kontrastprogramm, zu dem mich kda-Pfarrer Peter Lysy in die Ev. Akademie nach Tutzing einlud: Auf einer Tagung des kda Bayern und des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung München ging es um das Thema der Selbstoptimierung des Menschen in der Arbeitswelt. Eine Vielfalt von Impulsreferaten beleuchteten Chancen und Risiken moderner Einflussnahme auf die menschliche Persönlichkeit und seine Arbeitsleistung: Gesundheitsmanagement und Leistungsfähigkeit; Self-Tracking (Selbstvermessung, Selbstbeobachtung, Smartwatch) als Motivator zum gesünderen Leben; Spiritual Consulting als die Möglichkeit, über biblische Impulse ein ausgeglichenes Verhältnis zur eigenen Arbeit zu gewinnen; Kritische Überlegungen zur Utopie einer vollständigen Kontrolle des Menschen durch transhumanistische Programme der Selbstoptimierung (künstliche Intelligenz, kognitive Steigerungen, Charakterbeeinflussungen, Gehirnimplantate, Mind-Uploading, Genom-Kontrolle, technologische Perfektionierung des unvollkommenen Menschen, radikale Lebensverlängerung).

Veränderungen der Arbeitswelt

In Augsburg erwarteten mich dann interessante Gespräche mit Sozialsekretär Diakon Ulrich Gottwald über das Engagement des kda mit Aktionen zum Sonntagsschutz und die Zusammenarbeit mit der Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in Bayern. Gemeinsam mit der KAB (Kath. Arbeitsnehmer Bewegung) nahmen wir an einem Betriebsbesuch bei Fujitsu teil und erhielten Einblick in die Arbeitswelt der 1.500 Mitarbeiter der einzig verbliebenen Computer-Fertigungsstätte auf deutschem Boden. Faszinierend die Produktion von 8.500 Mainboards und 450 Servern täglich. Aber auch beängstigend zu erfahren, wie schnelllebig die technische Entwicklung ist, und dass sich dadurch auch die Arbeitsplatzsituation je nach Auftragslage in kurzer Zeit verändern kann.

Betriebsräte und ihre Herausforderungen

Sozialsekretärin Sybille Ott ließ mich tags darauf teilnehmen an einem Betriebsrätetreffen der IT-Branche in den Räumlichkeiten des kda Münchens in der Schwanthaler Straße, in dem die Teilnehmer von einer Rechtsanwältin über den rechtlichen Rahmen eines betrieblichen Beschwerdeverfahrens informiert wurden.

Ein weiterer Betriebsbesuch in der Glashütte der Verallia AG in Neuburg a.d. Donau schloss die Woche in Bayern ab. Sozialsekretär René Steigner vom KDA Ingolstadt hatte ein Treffen mit dem Betriebsratsvorsitzenden organisiert, der uns nicht nur die belastenden Arbeitsbedingungen (Lärm, Hitze, Unfallgefahr) erleben ließ, sondern auch von seiner Glaubensüberzeugung erzählte, die ihm Kraft gibt für sein Engagement im Betrieb.

Erfahrungsschatz, der weiterwirkt

Ziemlich begeistert und dankbar schaue ich zurück auf diese Woche in Bayern. Uns als Kirche kann ich nur wünschen, dass die Arbeit des kda auch an der Basis der Kirchengemeinden hoch geschätzt wird als ein wichtiger Arm hinein in das tägliche Leben der arbeitenden Bevölkerung. Vielen Dank, dass ich ausschnittsweise daran teilhaben durfte!

Bericht: Dirk Fanslau, Pastor der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Hamburg-Eidelstedt

(Bild: Pastor Dirk Fanslau (hintere Reihe, 3. v. li.) gemeinsam mit einer Gruppe von kda und KAB nach dem Betriebsbesuch bei Fujitsu zum Thema Arbeiten 4.0.
Foto: Dirk Fanslau)

Kirche, Arbeitsbedingungen

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