NÜRNBERG. Die neue Koalition in Berlin hat sich viel vorgenommen: Mindestlohnerhöhung, Ausbildungsgarantie, Beratung auf Augenhöhe. Das klingt schon mal gut, doch das sind dicke Brocken. Dorothea Kroll-Günzel, zuständige Referentin für die “Aktion 1+1 Mit Arbeitslosen teilen” im kda, hat sich die aktuelle Praxis und die Vorhaben einmal näher angeschaut.
Was ist eigentlich nicht gut am bestehenden System?
In unserer Arbeit beim kda Bayern erleben wir in vielen Bereichen die oft deprimierenden Auswirkungen von „Hartz IV“. Menschen rutschen in Armut, weil die Grundsicherung eben nicht auskömmlich ist. Mitarbeitende in Jobcentern werden persönlich angegangen und haben Angst an ihrem Arbeitsplatz. Antragsteller*innen werden nicht auf Augenhöhe behandelt, weggeschickt oder sind mit der Bürokratie überfordert.
Unsere Partner*innen im sozialen Bereich, bei Beratungsstellen oder Tafeln, erfahren immer wieder, wie Klient*innen explizit zu ihnen geschickt werden, um ihre Anträge auszufüllen oder gespendete Lebensmittel zu bekommen, wenn das Budget aufgebraucht ist.
„Wir erleben, dass eine Kultur der Angst und des Misstrauens entstanden ist”, so Kroll-Günzel bedauernd.
Und wie kann es gut werden?
Es wird sicher nicht alles gut werden, vor allem nicht gleich, denn außer der Festlegung des künftigen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde wurden bisher keine konkreten Summen genannt. „Doch wenn wir den Koalitionsvertrag lesen, haben wir den Eindruck, dass so manches aus unseren Vorstößen der letzten Jahre übernommen wurde”, freut sich die Referentin des kda. So sollen zum Beispiel Rahmenbedingungen geschaffen werden, mit denen „künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann.“ Oder: „Das Teilhabechancengesetz wollen wir entfristen und weiterentwickeln.“ Und es wird Teilhabevereinbarung statt Zielvereinbarungen geben. Wie diese Vorhaben mit Leben gefüllt werden, das werden die nächsten vier Jahre zeigen. „Das heißt für uns, dass wir die Arbeit der neuen Koalition kritisch begleiten werden”, betont Kroll-Günzel.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form in der Ausgabe Januar 2022 im Straßenkreuzer Nürnberg, dem Magazin für Menschen in sozialer Not.
(Foto: Madrolly/ Getty Images via Canva)