NÜRNBERG. Gewerkschaftssekretärin Jaana Hampel ist zurzeit fast täglich unterwegs bei den Streikenden im Handel. Am Rand eines Frauen-Workshops erläutert sie die Situation in der Branche, in der die – meist weiblichen – Beschäftigten nur noch zu 20 Prozent tarifgebunden arbeiten.
kda Bayern: Die Beschäftigten im Handel streiken. Täglich lese ich von Aktionen bei Marktkauf, H&M, Zara, IKEA oder Lidl. Was fordert ver.di für die Beschäftigten – auch und insbesondere nach der langen Zeit mit Corona?
Jaana Hampel: Wir fordern Respekt und Anerkennung auch im Lohn. Das sind 4,5 % mehr Lohn plus 45 Euro im Monat mehr. Wir fordern aber auch die Allgemeinverbindlichkeit des bayerischen Einzelhandels- Tarifvertrags und auch Großhandelstarifvertrags, weil mittlerweile tatsächlich nur noch 20 % der Beschäftigten im Handel tarifgebunden sind. Dieser Wettbewerb basiert nicht mehr auf Qualität und guter Beratung, sondern läuft nur noch darauf hinaus, dass die Beschäftigten schlecht behandelt werden und wer sich daran bereichern kann. Da wollen wir einen Stopp einziehen und deswegen fordern wir Allgemeinverbindlichkeit.
Der Einzelhandel hat mit 6,8 % Umsatzplus das beste Ergebnis in der Geschichte des bayerischen Einzelhandels eingefahren und da muss auch für die Beschäftigten etwas dabei sein. Die müssen so viel verdienen, dass sie auch ihr Alter in Würde leben können und nicht auf´s Amt gehen müssen, um ihre Altersversorgung zu gewährleisten, wenn sie ihr Leben lang gearbeitet haben.
Das heißt mehr als Beifall. Während Corona wurde geklatscht, da wurde gesagt, das sind die Helden, die sind systemrelevant – und jetzt stellt sich heraus, wie systemrelevant sie sind: nämlich leider doch nicht so, dass man sie ordentlich bezahlt.
Genau. Wir haben gerade eine total verfahrene Situation in den Tarifverhandlungen. Die Arbeitgeber sagen tatsächlich Verhandlungstermine ab, sie wollen eine Spaltung der Beschäftigten in Krisengewinner und -verlierer. Dazu muss man sagen, dass im stationären Einzelhandel die meisten auch Online-Händler*innen sind. Die haben auch ganz gut verdient in der Corona Zeit. Die Beschäftigten haben massive Einkommenseinbußen gehabt in der Corona-Zeit. Vor allem durch die Kurzarbeit.
Und auf der anderen Seite haben wir Riesen wie EDEKA und REWE, die wirklich unglaublich hohe Zuwächse hatten und die jetzt hergehen und sagen: wir machen eine freiwillige Erhöhung ab Juli. Das heißt, die ganzen Monate nach dem Ende der Laufzeit des letzten Tarifvertrags werden nicht besser bezahlt. Und die Erhöhung kann auch zurückgenommen werden. Mit zwei Prozent liegen die außerdem deutlich unter der Inflationsrate. Das heißt, die Leute haben faktisch weniger in der Tasche als vorher. Die Arbeitgeber stellen auf stur und wir antworten darauf mit Streiks. Wir sind guten Mutes, dass wir da auch noch viel erreichen können.
Es gibt den Vorschlag des HDE zur Sonntagsöffnung bis Jahresende. Warum bringt nach eurer Meinung eine solche Sonntagsöffnung nichts?
Weil das nicht mehr Umsätze bringt. Es macht alleine den Vernichtungs-Wettbewerb stärker. Das heißt, die Großen profitieren, weil sie sich die langen Öffnungszeiten leisten können. Sie erkaufen sich Marktmacht mit den verkaufsoffenen Sonntagen und verdrängen kleine und mittelständische Unternehmen vom Markt, die sich das so nicht leisten können. Außerdem hat es massive Auswirkungen auf die Beschäftigten. Wer kann denn am Sonntag ohne weiteres in die Arbeit kommen? Wer muss da nicht seine Familie versorgen? Verkaufsoffenen Sonntage haben dafür gesorgt, dass sich die Situation der Beschäftigten verschärft. Abgesehen davon brauchen wir einen gesellschaftlichen Ruhetag. Längere Öffnungszeiten habe eigentlich immer dazu geführt, dass sich die Situation verschlechtert hat: Für uns Verbraucher*innen, für die Beschäftigten und für die Gesellschaft. Wir können nicht immer 24 Stunden, 7 Tage die Woche offen sein und “High Life” machen. Wir brauchen auch die Ruhe und deshalb kämpfen wir von ver.di auch mit den Kirchen dafür, den freien Sonntag zu schützen. Ich glaube, es ist der richtige Weg, Öffnungszeiten zu begrenzen und nicht auszuweiten.
Wo kann die (Kommunal-)politik unterstützen?
Das erste ist die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge – also den Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten zu stoppen. Wir erwarten von der Politik, dass sie die Beschäftigten im Handel auch hört. Denn diese Menschen haben eine Ahnung davon, wie man die Innenstadt beleben kann, wie man Qualität und Beratung nach vorne stellt. Die Beschäftigten müssen gut behandelt werden, um gute Beratung und guten Service leisten zu können. Ich muss in Menschen investieren für eine lebenswerte Stadt.
Herzlichen Dank für das Interview!
(Foto: kda Bayern)