„Du bist Gott und siehst mich“ und mein unerhörtes NEIN

Verhalten wir Frauen uns in unserer Arbeitswelt völlig anders, als in unserer privaten Welt? Wohl kaum. Hier wie dort kommt den meisten von uns ein JA viel leichter über die Lippen als ein NEIN. Leider führt das oft zu Überlastungen. Unser NEIN bleibt unerhört, weil ungesagt.

Warum fällt uns das so schwer?

Die Wurzeln reichen weit zurück in Erziehung und gesellschaftliche Rollenzuschreibung. Alle Kinder grenzen sich in der kindlichen Trotzphase mit einem NEIN ab. Das Austesten von Grenzen hilft bei der Abnabelung aus der symbiotischen Beziehung mit der Mutter. Das ist völlig normal auf dem Weg ins Leben und hilfreich, um darin bestehen zu können.

Aber das Umfeld reagiert auf diese Normalität höchst unterschiedlich, je nachdem welchem Geschlecht das Kind angehört. Denn die kapitalistische Arbeitsteilung hat den Geschlechtern unterschiedliche Funktionen zugedacht: Während Grenzziehung und Selbstbehauptung der Jungen belohnt wird, gehen die Mädchen des Lobes leer aus oder werden sogar für vergleichbares Verhalten bestraft. Denn die Jungen sollen sich in ihrer späteren Rolle als Familienernährer und in der Arbeitswelt behaupten können, die Mädchen später einmal Hüterin des trauten Heimes, ausgleichende Mutter und liebevolle Ehefrau sein. Also werden sie für diese Verhaltensweisen belohnt.

So funktioniert das System.

Dank der Kämpfe der Frauenbewegung hat sich inzwischen vieles geändert – besonders die Erwerbsquote von Frauen. Doch das System funktioniert noch traditionell und führt zur Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen. Das Verhalten, das wir von Kindesbeinen an verinnerlicht haben, ist so tief in uns verankert, dass es individuell und gesellschaftlich nur sehr langsam aufbricht.

Und so kommt es, dass Frauen sich oft lieber selbst überfordern, als jemand anderem etwas abzuschlagen. Sagen wir NEIN, stellt sich fast unmittelbar ein schlechtes Gewissen ein, meinen wir uns rechtfertigen zu müssen, wünschen wir uns Absolution für dieses unerhörte NEIN. Oft geben wir nach und sagen JA, obwohl wir eigentlich nicht wollen oder können. So aber kommt keine Frau gegen die Doppel- und Dreifachbelastung an!

„Du bist Gott und siehst mich“ heißt vor diesem Hintergrund zuallererst: Gott sieht mich, so wie ich bin. So wie ich vor ihm bin und nicht vorm kapitalistischen System.

Sein Blick auf mich ist unverstellt, die Gründe für mein NEIN sind ihm bereits bekannt und gerechtfertigt. Ich bin auf keine Funktion im System reduziert, sondern nichts Geringeres als sein Ebenbild!

Und Jesus bekräftigt: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“!

„Wie Dich selbst“ – das bedeutet, unserer Fähigkeit zur Nächstenliebe ist abhängig vom guten Umgang mit uns selbst. Das Kernstück des christlichen Glaubens bedarf also unserer Selbstachtung und Selbstliebe. Und deshalb kommt frau auch nicht umhin, ihr NEIN erhörbar zu machen!

Wie geht das?

Es ist bei Verhaltensänderungen wie beim sportlichen Muskelaufbau – allein das Training bringt den Erfolg! Sagen Sie NEIN, wenn Sie NEIN meinen und bleiben Sie dabei! Üben Sie es! Wo Sie zunächst noch Herzklopfen bekommen bei so viel Unerhörtheit, wird mit etwas Übung die Gewissheit wachsen, dass Sie das gottgegebene Recht haben, Ihre eigenen Bedürfnisse wichtig zu nehmen und sie nicht immerwährend hintenan zu stellen!

Und was gut ist für Sie, ist auch gut für unerhört viel Nächstenliebe!

Martina Spohr, Fachreferentin und Coach, Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck

Bild: Edu Lauton auf Unsplash 

Frauen, Geistliches

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