Mach meine Kollegin nicht an!

BERLIN/NÜRNBERG. „Sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz verhindern! Ein Handlungsleitfaden für betriebliche Interessenvertretungen“: Das ist die neue und aktualisierte Broschüre des DGB zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Lesen Sie im Interview mit der Autorin Dr. Christina Stockfisch, warum sexualisierte Gewalt kein „Frauenproblem“, sondern eine Herausforderung für das gesamte Unternehmen ist und wie wir uns alle für ein gutes Arbeitsklima einsetzen können.

Es ist ein gelungener Handlungsleitfaden geworden, der die Grundfrage beantwortet: Was ist sexualisierte Gewalt überhaupt?

Der Leitfaden schlägt persönliche Interventionsmöglichkeiten vor und  stellt präventive Maßnahmen anhand von betrieblichen Beispielen und praktischen Betriebsvereinbarungen dar. Zum Schluss gibt es noch viele hilfreiche Infos, wie weiterführende Links und Telefonnummern, Gesetzesgrundlagen, Aktionsvorschläge und Beratungsstellen.

Dr. Christina Stockfisch ist Autorin des Handlungsleitfadens. Sie gehört zum DGB Bundesvorstand Berlin und arbeitet zu frauen- und gleichstellungspolitischen Themen. Nina Golf, wissenschaftliche Referentin beim kda Bayern, hat nachgefragt und Christina Stockfisch bringt uns auf den neuesten Stand.

Warum ist das Thema „sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz“ immer wieder und immer noch aktuell?

Dr. Christina Stockfisch: Auch Jahre nach #metoo steht der Kampf gegen sexuelle Belästigung leider immer noch auf der Agenda. Noch immer wird viel zu oft weggeschaut. Noch immer wird zu wenig für Prävention und Schutz getan. Wird das Thema angesprochen, reagieren Beschäftigte und Vorgesetzte in Betrieben sehr unterschiedlich. Von Betroffenheit bis hin zu Unverständnis reicht dabei die Bandbreite.

„Schlimm, aber glücklicherweise ist das bei uns kein Thema“, lautet ein gängiger Kommentar.

Dabei hat ungefähr jede/r zweite Beschäftigte bereits sexistische Witze, anzügliche Bemerkungen, unerwünschte Berührungen oder andere Formen sexueller Belästigungen erlebt. Aber nur sehr selten wird offen darüber gesprochen. Zu oft bleibt das Thema tabu. Das führt dazu, dass Betroffene oft nicht wissen, wie sie damit umgehen und an wen sie sich wenden können.

Sexualisierte Belästigung ist zudem immer ein Ausdruck von Macht.

Auszubildende, Praktikant*innen und Berufseinsteiger*innen sind deshalb in einer besonders verletzlichen Situation, da sie stärker abhängig von Arbeitgeber, Führungskräften und älteren Kolleg*innen sind.

Warum ist sexuelle Belästigung kein „Frauenproblem“? Was bedeutet das für den Betrieb und Unternehmen?

Dr. Christina Stockfisch:

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist schwerwiegend: Sie kann das Betriebsklima vergiften, die Leistung von Beschäftigten beeinträchtigen, Betroffene demotivieren und krank machen.

Meist verlassen die Betroffenen das Unternehmen und nicht die Personen, von denen Belästigung ausgeht. Dann wissen natürlich auch alle anderen Beschäftigten im Betrieb, dass sie nicht geschützt werden, wenn sie mal betroffen sind. Die Unternehmenskultur leidet darunter und Betriebe verlieren Arbeitskräfte, wenn das Problem nicht angegangen wird. Belästigungsfälle in Unternehmen, die öffentlich werden, schädigen zudem nachhaltig den Ruf und das Image von Unternehmen.

Was kann jede und jeder im Betrieb tun, um ein gutes Betriebsklima zu erhalten?

Dr. Christina Stockfisch: Die Leitung muss klar signalisieren, dass Sexismus inakzeptabel ist. Die richtige Botschaft:

Belästigende müssen Sanktionen und Betroffene Unterstützung erfahren.

Wenn ein Arbeitsklima herrscht, in dem Sexismus toleriert wird, muss das „von oben“, also von den Vorgesetzen aus angegangen werden. Führungskräfte müssten zu allererst geschult und sensibilisiert werden, damit sie Sexismus als Problem erkennen und Betroffene unterstützen können; dann natürlich auch alle Beschäftigten.

Dieser Handlungsleitfaden zeigt, wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verhindert und unterbunden werden kann, wie für Respekt im täglichen Miteinander geworben, Grenzen gewahrt bleiben und ein gutes, diskriminierungsfreies Betriebsklima unterstützt werden können. Dafür kann sich jeder und jede Beschäftigte im Unternehmen stark machen.

Es ist auch sehr wichtig, dass Betroffene nicht das Gefühl haben, alleine zu sein. Solidarisches Verhalten von Kolleg*innen kann sie bestärken, das belästigende Verhalten sanktionieren und sogar unterbrechen.

Schaut also nicht weg! Hört den Betroffenen zu und signalisiert, dass ihr da seid und die Betroffenen nicht alleine lasst.

Wer sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und/oder Gewalt am Arbeitsplatz erfährt, oder eine Person kennt, die belästigt wird, kann sich vertraulich Unterstützung beim Betriebsrat, Mitarbeitervertretung, Personalrat, der Geleichstellungsbeauftragten, einer Fachberatungsstelle oder beim Hilfetelefon holen.

Vielen Dank für dieses Update zum Tag gegen Gewalt an Frauen am Arbeitsplatz und weltweit 2023.

Weitere Informationen:

Hinschauen – Helfen –Handeln! Aktiv gegen Missbrauch!

Wer Probleme mit sexualisierter Gewalt im Arbeitsbereich der Evangelischen Kirche in Bayern hat oder sieht, kann sich vertrauensvoll bei der dafür eingerichteten Fachstelle informieren und beraten lassen.

Frauen, Geschlechtergerechtigkeit, Gerechtigkeit, Ethik, Arbeitsbedingungen

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