Praxisgespräch Bürgergeld – Münchner Lobby für Erwerbslose trifft Vorsitzende des Jobcenterbeirates

MÜNCHEN. Das neue Bürgergeld hat viel politischen Streit und auch Umsetzungsprobleme mit sich gebracht. Die Münchner Lobby für Erwerbslose (MüLE), ein Zusammenschluss von Erwerbslosenberater*innen, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklungen vor Ort zu verfolgen und dabei ein Sprachrohr der Betroffenen gegenüber dem lokalen Jobcenter zu sein. Nun traf sich die MüLE mit den beiden Münchner Stadträten Clara Nitsche und Stefan Jagel, die den Vorsitz des Jobcenter-Beirates innehaben.

Zum Jahresanfang 2024 wurde das Bürgergeld regulär erhöht, um die hohen Preissteigerungen der vergangenen Zeit auszugleichen. Diese Erhöhung hat eine politische Debatte ausgelöst, die sich zunehmend gegen die bedürftigen Menschen selbst richtet und alte Stereotypen von der sozialen Hängematte bedient. Für manche guten Förderideen der Bürgergeldreform wie das individuelle Coaching Erwerbsloser wird vom Bund nun kaum mehr Geld bereitgestellt. Das Vorhaben „Weiterbildungsbonus“ wurde schon wieder einkassiert. Zudem soll eine Totalstreichung des Existenzminimums bei „Arbeitsverweigerung“ eingeführt werden – eine Maßnahme die höchst umstritten ist, schon weil sie vor allem Menschen mit psychischen Problemen und besonders instabilen Lebensverhältnissen treffen könnte.

Knowhow aus zahllosen Bürgergeld-Beratungen

Gerade in solchen Zeiten braucht es eine Lobby für die Betroffenen, die oft selbst kein Sprachrohr haben. Die MüLE trifft sich deshalb zweimal jährlich mit der Geschäftsführung des Jobcenters zu Gesprächen, um mit dem Erfahrungswissen und Knowhow aus zahllosen Beratungen auf Paxisprobleme und Härtefälle hinzuweisen. Die MüLE ist darüber hinaus durch Philip Büttner (kda) im Beirat des Jobcenters als Sachverständige vertreten.

Am 20. Februar kam die MüLE nun erstmals mit den beiden Vorsitzenden des Jobcenter-Beirates zusammen, mit Clara Nitsche, Stadträtin der Grünen, und Stefan Jagel, Stadtrat der Linken (beide rechts im Bild). Es wurde offen und intensiv diskutiert. Gesprächsthemen waren u.a.:

  • technische Probleme derJobcenter-Kund*innen bei der Nutzung von „Jobcenter.Digital“, etwa beim Ausfüllen der Online-Anträge,
  • die Stromkostennachzahlungen, mit denen sich viele arme Haushalte in München derzeit konfrontiert sehen,
  • das Ende der Karenzzeit für die Anerkennung der Mietkosten, das viele Bedürftige bald dazu zwingen könnte, auf dem überteuerten Münchner Mietmarkt eine neue Wohnung zu suchen,
  • die fehlenden Kitaplätze, die erwerbslose Frauen mit kleinen Kindern daran hindern, eine vom Jobcenter angebotene Arbeitsstelle anzunehmen.

Zu diesen und weiteren Fragen besprach die Runde Fallbeispiele und Lösungsansätze, die auch im Jobcenterbeirat thematisiert werden können.

Hilfe in den „Mühlen der Bürokratie“

Die MüLE ist ein Netzwerk von Sozialberater*innen, das sich bereits seit dem Jahr 2005, also seit den Anfängen von Hartz IV,  für die Belange der Menschen einsetzt, die auf Leistungen aus dem SGB II (früher Hartz IV, heute Bürgergeld) angewiesen sind und dabei nicht selten in die Mühlen der Bürokratie geraten. Wobei eine sprachliche Präzisierung nötig ist: Nur der kleinere Teil der Menschen im Bürgergeld ist tatsächlich arbeitslos, in München sind es aktuell nur etwa 22.000 von 75.000. Die anderen sind entweder bereits erwerbstätig oder können dem Arbeitsmarkt derzeit gar nicht zur Verfügung stehen, etwa weil sie sich in Umschulungen befinden oder alleinerziehend sind mit kleinen Kindern. In den Münchner Bürgergeldhaushalten leben 21.000 Kinder. Ihre Rechte werden oft völlig vergessen, wenn in der Politik wieder einmal radikale Kürzungen des ohnehin zu knapp bemessenen Existenzminimums gefordert werden.

Zur MüLE gehören:

Foto: Clemens Strottner

Armut, Digitalisierung, Politik, Arbeitslosigkeit

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