Schwere Arbeit, leichter Lohn – Kommentar zur Arbeitsmarktlage

Wir leben in wirtschaftlich rosigen Zeiten, eigentlich. Die Wirtschaft wächst seit Jahren. Die Arbeitslosigkeit hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als halbiert. 45 Millionen Menschen in Deutschland haben Arbeit – so viele wie nie zuvor. Doch viele Erwerbstätige haben trotzdem kein Auskommen und wenig Perspektiven.

Jobwunder mit Schattenseiten

Leider fühlt sich dieses statistische Jobwunder für manche im realen Leben gar nicht so wundervoll an: zum Beispiel nicht für den Industriemechaniker, der in Leiharbeit 40 Prozent weniger verdient als seine Kollegen aus der Stammbelegschaft; oder für die Vertretungslehrerin, deren Arbeitsvertrag immer zu den nächsten Sommerferien ausläuft; oder für den Lieferanten, der fürs Schleppen schwerer Pakete nur einen Leichtlohn bezieht und nebenbei noch einen Minijob benötigt. Solche Beispiele zeigen, dass Deutschland noch immer vor Problemen am Arbeitsmarkt steht. Es geht heute nicht mehr allein um die Zahl der Arbeitsplätze, sondern vor allem auch um ihre Qualität.

„Verfestigtes Prekariat“

Die Arbeitswelt verändert sich rasant, sie wird flexibler, digitaler, internationaler und leider für viele Menschen auch prekärer. Mehr als drei Millionen Beschäftigte arbeiten heute befristet. Etwa eine Million ist in Leiharbeit beschäftigt. 7,5 Millionen haben Minijobs. Und über zwei Millionen sind „solo-selbständig“, also freiberufliche Einzelkämpfer*innen, die oft mehr schlecht als recht verdienen und kaum für die Rente vorsorgen können. Sicher befinden sich längst nicht all diese Personen in einer Notlage. Ein Minijob bedeutet für diejenigen, die anderweitig gut abgesichert sind, einfach einen Zuverdienst. Projektstellen oder eine Existenzgründung sind Chancen, sich beruflich zu etablieren. Doch es gibt inzwischen ein breites Segment von Erwerbstätigen, die dauerhaft mit ihren Familien um die Existenzsicherung bangen und keine Perspektiven finden. Laut einer neuen Studie des Soziologen Markus Promberger (.u.a.) betrifft dies ungefähr vier Millionen Menschen, zwölf Prozent aller Erwerbstätigen. Sie bilden Deutschlands „verfestigtes Prekariat“.

Arbeit ist Teil der Würde

Diese Entwicklung geht auch die Kirche an. Aus christlicher Sicht bedeutet Erwerbsarbeit natürlich viel mehr als Einkommen, Kündigungsschutz und Rentenanspruch. Arbeit bedeutet Mitarbeit in Gottes Schöpfung, sie ist Teil unserer eigenen Geschöpflichkeit und Würde. Gerade das soll aber auch in menschengerechten Arbeitsbedingungen seinen Ausdruck finden. Menschliche Arbeitskraft darf nicht zur bloßen Ware degradiert werden, die möglichst billig, austauschbar und flexibel ist. Arbeitskräfte sind Menschen, die Lebenspläne schmieden, Familien ernähren möchten und sich mit ihren Fähigkeiten einbringen wollen, ohne dabei ausgenutzt zu werden. Erst wenn sich diese Ansprüche für alle erfüllen, kann man sich tatsächlich über den Aufschwung am Arbeitsmarkt freuen.

Was kann die Kirche tun?

Was kann die Kirche dazu beitragen? Sie kann die Weichensteller und Verantwortungsträgerinnen in Wirtschaft und Politik immer wieder an diese Anforderungen einer menschengerechten Arbeitswelt erinnern. Sie kann sensibel sein für die Sorgen von Erwerbstätigen wie Erwerbslosen und sie stärken. Und nicht zuletzt kann sie als Arbeitgeberin natürlich selbst ein gutes Beispiel geben.

Arbeitnehmende, Wandel der Arbeitswelt, Ethik, Arbeitsbedingungen, Armut, Arbeitslosigkeit, Gerechtigkeit

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