„Viele Migranten arbeiten ohne Ende, damit die nächste Generation den Aufstieg schafft“

MÜNCHEN. „Fremde Arbeitsheimat?“ lautete das Thema des diesjährigen Sozialpolitischen Buß- und Bettags, den das Evangelische Prodekanat München Nord und der kda München gemeinsam organisierten. Expert*innen diskutierten in der Olympiakirche darüber, wie die Integration von Migrantinnen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft gelingen kann.

Die besondere Situation von Migrant*innen am Arbeitsmarkt beschrieb Dr. Sekou Keita vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seinem Einführungsvortrag. Der Leiter der IAB-Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ zeigte anhand von Statistiken, dass Migrant*innen überdurchschnittlich oft in Branchen wie der Zeitarbeit, der Gastronomie oder dem Baugewerbe mit tendenziell niedrigen Löhnen und geringer Beschäftigungssicherheit tätig sind. Dies gilt für Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflüchtet sind, in noch höherem Maße als für Arbeitsmigrant*innen aus der EU oder anderen Staaten.

Verdopplung der ausländischen Beschäftigten in einem Jahrzehnt

Im letzten Jahrzehnt hat sich die Anzahl der ausländischen Beschäftigten in Deutschland nahezu verdoppelt – von 2,5 Millionen im Jahr 2010 auf fast 5 Millionen im Jahr 2020. Die integrative Kraft des deutschen Arbeitsmarktes zeigte sich in dieser Zeit nicht zuletzt im Segment der „Einfachen Arbeit“, das entgegen mancher Prognose auch in Deutschland nicht verschwunden ist. Laut Keita wachse der Bereich der geringqualifizierten Beschäftigung teilweise sogar deutlich, wenn man etwa den Boom der Lieferdienste betrachte. Eine drängende Frage angesichts des immer gravierenderen Fachkräftemangels sei aber, wie die Integration in höherqualifizierte Tätigkeiten gelingen könne.

Faire Mobilität“ berät Arbeiter auf den Schlachthöfen

Für Savina Illieva von der Beratungsstelle „Faire Mobilität“ geht es in ihrer Arbeit mit bulgarischen Beschäftigten dagegen noch gar nicht um die Anerkennung von höheren Qualifikationen, sondern überhaupt erstmal darum, dass Menschen rechtssicher und zu fairen Arbeitsbedingungen in Deutschland tätig sein können. Die Juristin fährt dorthin, wo nicht selten Missstände anzutreffen sind und die Beschäftigten oft wenig über ihre eigenen Rechte wissen: zu den Arbeitern in den Schlachthöfen oder auf die Felder der Saisonarbeiter. Für viele dieser Migranten gehe es gar nicht darum, selbst einen sozialen Aufstieg durch Arbeit zu schaffen. „Viele arbeiten ohne Ende, damit die nächste Generation den Aufstieg schafft“, sagte Illieva.

Neue Haltungen in der postmigrantischen Gesellschaft

Eine gesellschaftspolitische Perspektive eröffnete bei der Veranstaltung Pfarrer Dr. Gottfried Rösch, der Leiter des Evangelischen Migrationszentrums im Münchner Westend. Ins Migrationszentrum, dem früheren „Griechischen Haus“, kämen Menschen in unterschiedlichsten sozialen Lagen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern. Im ganzen Westend prägten Menschen mit Migrationshintergrund das Stadtbild, besonders in der jüngeren Generation. In dieser neuen Normalität müssten sich nicht die Migrant*innen anpassen, sondern die „Altdeutschen“ müssten ihre Haltung ändern, so Rösch. Die Einstellung, dass die guten Jobs nur den Alteingesessenen zustünden, funktioniere in der postmigrantischen Gesellschaft nicht mehr, sagte der Theologe.

Fachkräftelücke schließen durch schnellere Anerkennung von Qualifikationen

Aus Sicht des Entwicklungsökonomen Keita liegt ein Schlüssel zu mehr Arbeitsmarktintegration vor allem im Abbau formaler Hürden. Er nannte das Beispiel einer ausgebildeten kolumbianischen Zahnärztin, die lange Zeit in einer deutschen Zahnarztpraxis nur Helferinnendienste tätigen dufte, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wurde. Neben einer schnelleren und einfacheren Anerkennung von Qualifikationen dürften laut Keita auch die Sprachanforderungen nicht mehr so unrealistisch hoch sein wie bisher. „Wenn wir die Fachkräftelücke schließen wollen, dürfen wir nicht verlangen, dass alle Zugewanderten bereits ein B1-Deutsch-Zertifikat mitbringen“, so der Forscher.

Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2023 in der Diakoniekirche

Der Sozialpolitische Buß- und Bettag wurde von kda-Pfarrer Peter Lysy und Dekan Felix Reuter geleitet – erstmals seit drei Jahren wieder in Präsenz. Im kommenden Jahr wird der Veranstaltungsort die dann zur „Diakoniekirche“ umgebaute Evangeliumskirche im Münchner Hasenbergl sein.

Philip Büttner, sozialwissenschaftlicher Referent kda Bayern

Bild: kda Bayern (von rechts: Dr. Sekou Keita, IAB; Savina Ilieva, Faire Mobilität; Dekan Felix Reuter, Prodekanat München-Nord; Pfarrer Dr. Gottfried Rösch, Evangelisches Migrationszentrum; Pfarrer Peter Lysy, kda Bayern)

 

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