NÜRNBERG. „Digitalisierung ist nicht aus sich selbst gut oder schlecht. Ideologisch geführte Debatten helfen in der Regel nicht weiter.“ Mit diesen Worten eröffnete Dr. Johannes Rehm, Leiter des kda Bayern, die Kooperationsveranstaltung des kda Bayern mit der Evangelischen Stadtakademie Nürnberg „Arbeit 4.0 – wie Digitalisierung ethisch zu lernen ist.“ am 10. Oktober im eckstein.
Anlass der Veranstaltung war die Veröffentlichung des gleichnamigen Buches, in dem Vorträge gesammelt sind, die im Zuge von Tagungen des kda Bayern zum Thema „Digitalisierung in der Arbeitswelt“ gehalten wurden. Das Buch dokumentiert dabei den betriebsnahen und zugleich interdisziplinären, multiperspektivischen, sozialethisch fundierten Ansatz, mit dem sich der kda Bayern dem Thema seit drei Jahren widmet und auf dessen Basis er seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leistet.
Erfreulicherweise waren auch mehrere Autorinnen und Autoren des Buches anwesend. So durfte Susanne-Kathrin Heyer, Studienleiterin der Evangelischen Stadtakademie Nürnberg, als Moderatorin mit Professor Peter Heß, Lehrstuhlinhaber für Informatik an der Georg Simon Ohm Hochschule Nürnberg, und Christa Siegler, Direktorin der AOK Bayern aus Amberg, einen Autor und eine Autorin des Buches auf dem Podium begrüßen. Die Podiumsdiskussion bereicherten zudem Ralf Halbauer, Mitglied des Europäischen Betriebsrats der DB AG, und Professor Hans G. Ulrich, ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Sozialethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Kundenwünsche und Ressourceneffizienz sind Treiber der Digitalisierung
Die unterschiedlichen Perspektiven, Zugänge und Erfahrungen der Podiumsteilnehmenden prägten auch die Diskussion. So wies Heß darauf hin, dass die Digitalisierungsprozesse in der Produktion darin begründet liegen, dass dadurch Produkte individueller und zugleich ressourceneffizienter hergestellt werden können. Das kommt den immer spezifischeren Kundenwünschen ebenso entgegen wie dem Anspruch der Unternehmen, Produktion in Deutschland zu halten.
Dass dabei bei der Belegschaft Sorgen im Raum stehen, der eigene Arbeitsplatz könnte durch Roboter ersetzt werden, beschrieben sowohl Halbauer als auch Siegler. Dem begegnen laut Halbauer die Betriebsräte der DB AG durch Plattformen, auf denen den Mitarbeitenden gezeigt wird, was technisch möglich ist und vielleicht in Zukunft im Unternehmen umgesetzt wird. „Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Menschen darauf vorzubereiten, was auf sie zukommt.“
Siegler beschrieb, wie in Digitalisierungsprojekten der AOK Bayern Mitarbeitende an digitale Technik herangeführt werden. Es brauche Begleitung, um diese Annäherung zu ermöglichen. Für das Unternehmen sei Digitalisierung dabei eine Notwendigkeit, weil es sonst in Zukunft zu wenig personelle Ressourcen haben würde, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen.
Menschen werden durch Maschinen ergänzt, nicht ersetzt
Alle Diskutierenden waren sich einig, dass der Mensch jedoch auch in Zukunft gebraucht werde und nicht vollständig durch Algorithmen ersetzbar sei. “Man wird allein wegen des psychologischen Effekts bei der Deutschen Bahn nicht auf Zugbegleiter verzichten”, sagte Halbauer. Und Ulrich betonte, dass Menschen stets miteinander üben müssten, Mensch zu sein, etwa in der Arzt-Patienten-Beziehung. Das ließe sich nicht algorithmisieren.
So zeigen gerade die „Bruchstellen“ zwischen Mensch und Maschine, wo die Aufgaben der Zukunft liegen. Als eine der großen Themen in Unternehmen und damit auch ein Forschungsthema in der Produktionstechnik benannte Heß die Frage der Technikakzeptanz. So werde „Kollege Roboter“ überhaupt nicht selbstverständlich von den Mitarbeitenden akzeptiert. Und Ulrich beschrieb, dass mit Big Data noch wenig gewonnen ist. „Wir sammeln Wissen. In der Genforschung haben wir z.B. zwei Prozent des Wissens gesammelt, aber wir verstehen davon wiederum gerade einmal zwei Prozent. Wer aber macht die Arbeit des Verstehens?“
Rechtliche Rahmenbedingungen reichen aus, um Digitalisierung auf Betriebsebene zu gestalten
Rechtliche Fragen schienen hingegen aktuell nicht die große Hürde zu sein. So bestätigten sowohl Siegler als auch Halbauer, dass die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Möglichkeiten, die Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz bieten, ausreichende Gestaltungsräume auf betrieblicher Ebene ermöglichen. Insofern appellierte Halbauer an Heß: „Bitte lehren Sie Ihre Studierende, dass man Interessenvertreter bei Digitalisierungsprojekten frühzeitig einbindet. Denn diese kennen die Ängste und Fragen der Menschen im Betrieb.“ So können Projekte von Anfang an auf eine gute Spur gesetzt werden.
Wie notwendig die richtige Einbindung der Mitarbeitenden beim Thema „Digitalisierung“ ist, bestätigte Heß. „Fünf Prozent der Projekte gehen schief, weil die Technik nicht funktioniert, 95 Prozent aber, weil Menschen scheitern.“
Titelbild (von links): Susanne-Kathrin Heyer, Christa Siegler, Professor Peter Heß, Ralf Halbauer, Professor Hans G. Ulrich. (Foto: kda Bayern)