Arbeitszeit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Einen großen Teil unserer von Gott geschenkten und wertvollen Lebenszeit verbringen wir mit Arbeit. Biblisch betrachtet erschöpft sich diese nicht in Erwerbsarbeit, sondern meint die Gesamtheit menschlicher Anstrengungen und Tätig sein, ungeachtet dessen, ob diese bezahlt wird oder nicht.

Anders sieht es in unserer Erwerbsgesellschaft aus: Zeit für die Verrichtung von Tätigkeiten ist eine der wichtigsten Kriterien für die Entlohnung. Damit stellt sich auch die Frage der Arbeitszeiterfassung.

Arbeitsleistung wird in Stunden gemessen – meistens jedenfalls.

Die Arbeitsleistung wird traditionell in Stunden gemessen und bezahlt. Arbeitnehmende schulden dem Arbeitgeber in der Regel eine vereinbarte Arbeitszeit, Arbeitgeber schulden den Arbeitnehmenden im Gegenzug die vereinbarte Entlohnung dafür. Das gilt für die Karstadt-Verkäuferin ebenso wie für die Krankenpflegerin im Klinikum. Für einige Werktätige gilt es jedoch nicht oder nur eingeschränkt.

Die zu entlohnende Arbeitszeit wird kontrolliert. Die stärkste Kontrolle symbolisiert traditionell die Fließbandarbeit. Mildere Formen der reinen Arbeitszeitkontrolle waren Methoden der maschinellen oder personellen Ein- und Ausgangskontrolle durch Abstempeln von Arbeitszeitkarten (Stechuhr).

Heute entspricht das etwa den Arbeitszeitterminals in Eingangsbereichen von Firmen oder der digitalen Komplettüberwachung von Bewegungsabläufen, Arbeitsschritten und fortlaufender sekundengenauer Aufzeichnung der Tastaturbewegungen oder Hand-Scanner.

Globale Trends der kapitalistischen Arbeitskraftverwertung und Kontrolle

Die klassische Messung, Kontrolle und Bezahlung von Arbeitszeit hat sich in der jüngeren Vergangenheit, der sog. Spätmoderne, verändert durch:

  1. Einführung der Vertrauensarbeitszeit und flexibler Arbeitszeitmodelle bei gleichzeitiger Steuerung und Kontrolle der Arbeit über Zielvereinbarungen (zu Projekten, über die Anzahl von Kaufabschlüssen, Zimmerkontingenten usw.)
  2. Leistungsgebundene Bestandteile des Lohnes: Grundgehälter werden durch persönliche oder betriebliche erfolgsabhängige Bonuszahlungen ergänzt.
  3. Ausschluss von Zeiten, die für die Tätigkeiten notwendig sind, aber nicht bezahlt werden, wie Umkleidezeit, Bereitschaftszeiten, Dienstfahrten.
  4. Zunehmende Digitalisierung und mobiles Arbeiten: Entkopplung der Tätigkeiten vom Betriebsort.
  5. Veränderte Work-Life-Bedürfnisse der Beschäftigten.

Probleme

Aus diesen Trends ergeben sich Unschärfen in Bezug auf die tatsächlich gearbeiteten und bezahlten Stunden. Überstunden sind in Deutschland weit verbreitet. Im Jahr 2022 leisteten die Arbeitnehmenden in Deutschland insgesamt rund 1,285 Milliarden Überstunden, davon mehr als die Hälfe (702 Millionen) unbezahlt.

Aktuelle Arbeitszeit-Regelung

Daher soll nun auch das deutsche Arbeitszeitgesetz nach europäischen Vorgaben geändert werden.

Zukünftig besteht eine Dokumentationspflicht nicht nur bei Überstunden und Sonntagsarbeit, sondern generell für alle Arbeitnehmenden (ausgenommen Beamte und Leitende Angestellte) und Arbeitsstunden in elektronischer Weise (ausgenommen kleine Betriebe , die mindestens zu Papierform verpflichtet sind).

Die Arbeitszeiterfassung muss objektiv (fälschungssicher), verlässlich (die tatsächliche Wirklichkeit widerspiegeln) und zugänglich (für Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in einsehbar) sein. Denkbar sind bspw. Apps auf dem Diensthandy oder PC, Arbeitszeitterminals mit oder ohne Chipkarten. Mobile Arbeit, Homeoffice und Vertrauensarbeitszeiten sind weiterhin möglich.

Die Arbeitgeber*innen sind jetzt aber auch zum Arbeitszeitschutz bei diesen Arbeitsmodellen verpflichtet.

Gesunde Grenzen setzen. Oder: Big brother is watching you?

Die neue Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung steht im Zeichen des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmenden. Das Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie die Einhaltung von Ruhe- und Pausenzeiten verfolgt das Ziel, Gesundheitsschutz und Sicherheit der Arbeitnehmenden bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten. Ohne Dokumentation ist keine Überprüfung der Einhaltung von Arbeitszeitschutz möglich, ohne Überprüfung keine Feststellung von Verstößen.

Arbeitszeitkontrolle stellt eine überprüfbare Möglichkeit zur Begrenzung der Arbeitszeit dar. Sie schränkt so, hoffentlich wirksam, die ausufernden, unbezahlten Überstunden ein. Somit könnte sie für eine andere Verteilung der Arbeit sorgen und der Verdichtung von Arbeit entgegenwirken.

Problematisch bleibt die flächendeckende Ausweitung digitaler Kontrollmethoden in Unternehmen, die ein Einfallstor für komplexe Überwachungssysteme und Verletzungen des Datenschutzes und anderer Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmenden sein können.

Es wird also wesentlich auf die Arbeitnehmervertretungen, wie Gewerkschaften und Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitendenvertretungen ankommen, den Schutzgedanken in tarifliche Regelungen und Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur Ausgestaltung der Erfassung von Arbeitszeiten zu verankern.

Nina Golf  arbeitet als wissenschaftliche Referentin für den kda Bayern.

Bild: via Canva

Dieser Artikel ist Teil des Online-Schwerpunktes zum Ev. Kirchentag 2023.

Digitalisierung, Zeit, Wandel der Arbeitswelt, Arbeitsbedingungen

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