Der ganz normale Wahnsinn – Siehst Du ihn?

Du bist Gott und siehst mich.

Mitten in der Nacht aufstehen. Das Kind umziehen, das gerade nachts trocken werden will und es nicht immer schafft. Bett neu beziehen. Wieder hinlegen. Überraschend früh vom Wecker um 6 Uhr geweckt werden. Das Kind antreiben, weil Trödeln heute nicht drin ist. Mit dem Partner diskutieren, dass die Arbeit gerecht aufgeteilt ist, wenn er das Kind umzieht. Mit dem Kind diskutieren, dass es JETZT zur Kita geht, weil du pünktlich zur Arbeitsbesprechung musst. Ins Büro fahren, mehr oder weniger aufmerksam. Auf der Arbeit das E-Mail-Postfach nach wirklich dringenden Nachrichten prüfen und diese bearbeiten. Bei der Besprechung mitdenken und beteiligen.

Zum Glück macht dir deine Arbeit richtig Spaß. Themen finden, die gerade für Menschen in der Arbeitswelt wichtig sind und überlegen, wie du die Menschen am besten erreichen kannst. Kollegen*innen unterstützen. Mit deinem Zeitplan total hinterherhinken. Länger bleiben geht nicht. Die Kita schließt pünktlich. Mit ein bisschen Glück holen heute der Partner oder die Oma das Kind ab.

Dann kaufst du die Dinge ein, die du am Wochenende vergessen hast oder die schon aufgebraucht sind. Nach Hause kommen. Ausladen. Kind knuddeln. Einräumen. Mit dem Partner die wichtigsten News austauschen. Wäsche zusammenlegen. Kita-Kleidung und Frühstücksbox für den nächsten Tag richten. Deine eigene Kleidung und Lunchbox für den nächsten Tag richten.

Panik bekommen, weil das Kind plötzlich eine laufende Nase und rote Backen hat, über Bauchweh klagt. Voller Schreck die Kita-Meldung lesen, dass wegen Personalmangel nur der absolute Notbetrieb möglich ist und sie zwei Stunden früher schließen.

Kind waschen, Zähne putzen, Schlafanzug anziehen, mit ihm spielen, Buch vorlesen, Licht aus im Kinderzimmer. Eigentlich noch Rechnungen bezahlen, eine Geburtstagskarte schreiben oder kurz Rückenübungen machen wollen, aber dann doch auf der Couch zusammenrollen und den Fernseher anschalten. Ins Bett gehen. Einschlafen. Aufwachen und zum Kind gehen, weil es einen Alptraum hat. Wieder hinlegen und einschlafen.

Repeat.

Klingt anstrengend. Ist es auch.

Permanent zu funktionieren geht aber nicht. Mentale und körperliche Erschöpfung ist die Folge. Deshalb dürfen wir berufstätigen Eltern auch mal etwas vergessen. Deshalb ist ein Zahnpasta-Fleck auf der Kleidung auch kein Zeichen von Verwahrlosung, sondern von gesunder Priorisierung. Ein „Nein“ kann Selbstfürsorge sein. Nicht jede*r sieht, welche Arbeit berufstätige Eltern, ganz besonders Mütter, leisten und welchen Spagat wir hinlegen müssen. Ständig bewertet zu werden, aber nicht alle Erwartungen erfüllen zu können.

Aber Gott sieht mich. Mich und meine Arbeit. Und ich bin gut so, wie ich bin.

Ein schöner Gedanke.

 

Silke Scheidel ist Referentin für Arbeitswelt und Politik der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft.

Fotocollage: Bilder von Nadja Donauer und Gerd Altmann auf Pixabay

Geistliches, Frauen, Familie, Geschlechtergerechtigkeit, Zeit

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