„Du weißt nicht, was als Nächstes passiert“ – Interview mit Kaufhof-Betriebsrätin Tatiana Dereli

MÜNCHEN. Der Kaufhof am Karlsplatz (Stachus) stand in diesem Sommer zusammen mit bundesweit über 60 anderen Filialen auf der Schließungsliste der insolventen Galeria Karstadt Kaufhof. Überraschend gelang am 11. September in Verhandlungen zwischen Insolvenzverwaltern, der Inhaberin Signa Holding GmbH, der Gewerkschaft ver.di, dem Betriebsrat und dem Vermieter in letzter Minute noch die Rettung des Münchner Traditionskaufhauses – allerdings befristet auf zwei Jahre. Der kda Bayern sprach dazu mit Betriebsrätin Tatiana Dereli, 40,  die in der Stachus-Filiale für 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig ist.

kda: Der Kaufhof am Stachus ist nach langen und schwierigen Verhandlungen gerettet – zumindest für zwei Jahre. Überwiegt eher Freude oder Erschöpfung?

Tatiana Dereli: Der Betriebsrat ist momentan etwas erschöpft. Es sind gemischte Gefühle. Klar, haben wir viele Kollegen, die sich immens darüber freuen, aber auch Kollegen, die innerlich schon mit dem Kaufhof abgeschlossen hatten. Wir sind natürlich erleichtert, weil wir noch zwei Jahre Zeit haben. Aber es gibt einen bitteren Beigeschmack. Die Lebensmittelabteilung wird geschlossen und unsere Hausverwaltung wird ausgegliedert. Die Regale sind sehr, sehr leer momentan. Es sind auch schon viele Kolleginnen und Kollegen gegangen und es wird jetzt noch mal ein Schwung gehen. Du weißt halt momentan nicht genau, was als Nächstes passiert. Wie läuft jetzt der Abverkauf weiter, werden wir wieder zu einem normalen Kaufhaus in den zwei Jahren? Aber Freude ist natürlich auch da, das auf jeden Fall!

Die Protestaktion der Beschäftigten im Juli war düster inszeniert mit Sarg und schwarzer Kleidung. Man hat gemerkt, dass alle sehr an ihrem Kaufhof hängen, aber auch sehr wütend sind. Was ist denn aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schiefgegangen beim Kaufhof?

Es ist halt so, dass wir nicht mitgenommen werden. Die Leute, die unten an der Front stehen, am Kunden dran sind und wissen, was der Kunde will, werden vom Management nicht gefragt. Und dann wird es problematisch, wenn du mit dem Sortiment hinterherhinkst. Auch das Internet hat man ein bisschen verschusselt. Das soll jetzt besser werden.

Kann der Kaufhof durch persönliche Kundenberatung gegenüber dem Onlinehandel punkten?

Die Kunden möchten schon Beratung haben. Nur manche sind eiskalt, die lassen sich eine Stunde lang zu einer Matchboxrennbahn beraten und kaufen sie dann doch woanders im Internet. Es gibt andere Geschäfte in München, die nehmen inzwischen fünf Euro für die Kundenberatung, damit das nicht passiert. Wir haben aber auch noch Stammkunden, für die das Einkaufen bei uns ein Erlebnis ist, die Stunden hier verbringen und oben im Restaurant essen gehen. Aber dadurch, dass so wenig Mitarbeiter auf der Fläche sind, kannst du diese Kunden nicht immer zufriedenstellen. Wenn du keine Kräfte an der Kasse hast, dann kannst du auch nichts kassieren. Teilweise sind auf der Etage nur ein oder zwei Kollegen. Das ist das Fatale an der Situation. Zum Verkaufen brauchst du einfach mehr Nähe zum Kunden.

Viele Beschäftigte klagen über die neue Funktionstrennung – was hat es damit auf sich?

Es gibt drei Funktionen bei uns, den Verkauf, die Kasse und das Warenserviceteam. Vor der Funktionstrennung konnte jeder alles. Wenn jetzt das Warenserviceteam Pullover auf einem Tisch aufbaut, dann weiß der Verkäufer nicht, wo das jetzt platziert ist, geschweige ob es in der Reduzierung ist. Wenn wir jetzt einen Krankenstand an der Kasse haben, kann kein anderer mehr in die Kasse rein. Da entstehen Probleme. Auch der Kunde versteht es nicht, warum ihn jemand vom Warenserviceteam an der Kasse nicht helfen kann.

Was wären Ihre Wünsche ans Unternehmen?

Dass man die Mitarbeiter nicht verheizt, sondern mehr in sie investiert, auf sie eingeht, ihnen richtig zuhört.

Wie planen Sie Ihre persönliche Zukunft?

Ich kann es noch nicht sagen, es ist noch zu viel drunter und drüber. Ich hatte mir vorgenommen, das bis zum Schließungstag durchzuziehen. Und jetzt habe ich quasi noch mal zwei Jahre vor mir. Der Stachus ist eine spezielle Filiale. Das Unternehmen wandelt sich immer mehr, aber die Verbundenheit mit den Kollegen bleibt. Es ist wie eine große Familie. Wir haben hier alle zusammen 2744 Jahre Betriebszugehörigkeit. So etwas findest du selten, dass Leute so lange dableiben.

Interview: Philip Büttner, kda Bayern

Titelbild: Tatiana Dereli vor historischen Aufnahmen des Kaufhofs am Stachus (Foto: privat)

Arbeitnehmende, Wandel der Arbeitswelt, Betrieb, Mitbestimmung

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