Etikettenschwindel! – Kampagne „Steuer gegen Armut“ wird aus Protest eingestellt

NÜRNBERG. Kritik am Ergebnis des EU-Finanzministertreffes: keine Einigung auf eine umfassende Finanztransaktionssteuer. Stattdessen einigten sich Deutschland und Frankreich auf die Einführung einer minimalen Aktiensteuer nach französischem Vorbild, deren Mehrheitsfähigkeit in der EU aber ebenfalls mehr als fraglich ist. Aus Protest folt nun die Einstellung der Kampagnenarbeit.

Hintergrund des Protests

Am 4. Dezember 2018 konnten sich die zehn europäischen Finanzminister der Verstärkten Zusammenarbeit nicht auf eine umfassende Finanztransaktionssteuer einigen. Bereits tags zuvor verständigten sich Deutschland und Frankreich auf die EU-weite Einführung einer Besteuerung des Handels mit Aktien nach französischem Vorbild. Somit machten sie eine Einigung in der Verstärkten Zusammenarbeit auf eine umfassende Finanztransaktionssteuer faktisch unmöglich.

Diese vorgeschlagene Aktiensteuer hat nichts mehr mit der Idee einer umfassenden Finanztransaktionssteuer zu tun. Während die 1991 in Deutschland abgeschaffte Börsenumsatzsteuer sowohl alle Anleihen- als auch Aktientransaktionen an Börsen besteuerte, soll die neue Aktiensteuer nur beim Handel von Aktien der Firmen erhoben werden, welche einen Börsenwert über 1 Mrd. Euro haben. Die Erhebung erfolgt dabei nach dem sogenannten Netting, dem Verrechnen von Käufen und Verkäufen am selben Tag. Damit bleibt der hoch problematische Hochfrequenzhandel gänzlich unbelastet. Die Einnahmen der vorgeschlagenen Aktiensteuer sollen in europäische Budgets fließen.

Somit bleibt von dem Konzept der Finanztransaktionssteuer, welche ein Baustein der Finanzmarktregulierung sein und Lenkungswirkung haben sollte, nichts mehr übrig. Und auch die geplanten Einnahmen machen nur einen Bruchteil aus. Dieses Geld fehlt für die dingenden Aufgaben wie Bekämpfung von Klimawandel, Artenschutz, Armut und für den Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit. Die Einführung der Finanztransaktionssteuer war ein großes Anliegen der Zivilgesellschaft. Innerhalb der Evang.-Luth. Kirche in Bayern wurden dafür 2011 etwa 70.000 Unterschriften gesammelt, europaweit im Internet weit über 1 Mio. Das ursprüngliche Anliegen der Kampagne „Steuer gegen Armut“ wird in einem Video charmant beschrieben.

Die umfassende Finanztransaktionssteuer scheitert allein am politischen Willen

„Statt die fünfjährigen Verhandlungen mit einem positiven Beschluss einer umfassenden Finanztransaktionsteuer abzuschließen, machen der deutsche und der französische Finanzminister mit ihrem Vorschlag einer reinen Aktiensteuer nach französischem Vorbild das bisher Erreichte zunichte. Die Beamten, die mit viel Sachverstand in mehrjährigen Verhandlungen einen Kompromiss erarbeitet haben, und auch die Zivilgesellschaft werden damit vor den Kopf gestoßen. Dass der Sozialdemokrat Olaf Scholz dem Vorschlag des französischen Staatspräsidenten so bereitwillig folgte, ist umso enttäuschender als es doch die SPD war, die 2012 ihre Zustimmung zum EU-Fiskalpakt vom weiteren Eintreten Deutschlands für die FTT abhängig machte. So hoch war damals die politische Bedeutung der FTT“ so Detlev v. Larcher, Attac und Koordinator der Kampagne „Steuer gegen Armut“.

Nach fünf Jahren der Verhandlungen zwischen zehn Ländern im Verfahren der sog. Enhanced Cooperation wurde ein fast beschlussreifer Direktiventwurf, der trotz Verwässerungen immer noch ein interessanter Fortschritt bei der Regulierung und Besteuerung des Finanzsektors gewesen wäre, vom französischen Präsidenten abgeblockt. Die Bundesregierung hat sich in der Vereinbarung von Meseberg dem Vorschlag von Macron angeschlossen, lediglich eine Steuer auf Aktien einzuführen. Frankreich besitzt bereits eine solche Steuer. Demnach würden Finanzderivate nicht einbezogen und damit 90% der Umsätze auf den Wertpapiermärkten aus der Bemessungsgrundlage herausgenommen.

„Eine solche Steuer hätte keine regulatorische Wirkung und würde im Vergleich zum Kommissionsvorschlag nur geringe Einnahmen bringen. Von der ursprünglichen Absicht, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen, bliebe nichts übrig. Die französische Schrumpfsteuer hat mit einer richtigen FTT nichts zu tun. Sie dennoch FTT zu nennen, ist Augenwischerei“, so Peter Wahl (WEED).

Ende der Kampagnentätigkeit

Vor diesem Hintergrund beschloss die Mitgliederversammlung des Bündnisses „Steuer gegen Armut“, ihre Kampagnentätigkeit in der bisherigen Form einzustellen. Für diese Schrumpfsteuer lohne es sich nicht, zu kämpfen. Die Notwendigkeit und Richtigkeit einer umfassenden Finanztransaktionsteuer bleibe weiter bestehen, heißt es in dem Beschluss. Sie bleibe Teil der zivilgesellschaftlichen Forderung nach einer Regulierung der Finanzmärkte.

Der Beschluss der Mitgliederversammlung der Kampagne „Steuer gegen Armut“ im Wortlaut:

„Es ist für unsere Kampagne nicht sinnvoll, so weiterzumachen wie bisher. Die Kampagne bezog ihre Energie und Wirkung daraus, dass es eine Idee, die die Zivilgesellschaft auf die Tagesordnung gesetzt hatte, bis zur Beschlussreife in den Gesetzgebungsprozess der EU schaffte. Aber nur für die Aktiensteuer von Macron und Scholz ist die Fortsetzung einer eigenständigen Kampagne nicht zu rechtfertigen.

Die Mitgliederversammlung beschließt daher, die Kampagne in dieser Form nicht fortzuführen und die damit verbundene Bündnistätigkeit einzustellen. Die Notwendigkeit und Richtigkeit einer umfassenden Finanztransaktionssteuer bleiben unbestritten weiterhin bestehen. Das Anliegen, eine solche Steuer zu fordern, ist und bleibt unterstützenswert.

Daher werden wir die FTT auch zukünftig in allen geeigneten Zusammenhängen als Teil der zivilgesellschaftlichen Forderungen nach einer Regulierung der Finanzmärkte vertreten. Wir bitten unsere Mitgliedsorganisationen diese Steuer in ihrem Forderungskatalog zu behalten und sich dazu weiter zu vernetzen.“

Politik, Globalisierung, Gerechtigkeit

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