Helfen ohne Hürden – Paradigmenwechsel im Jobcenter

NÜRNBERG. Corona ist ein Anstoß, in Zukunft Vieles besser zu machen. Das Virus, das unser soziales Leben derzeit noch lähmt, könnte Bewegung in manche arbeitsweltlichen und gesellschaftlichen Fragen bringen. Der neue kda report 2020 widmet sich deshalb dem, was wir aus der Krise lernen können. Philip Büttner zeigt, wie das Jobcenter einen Paradigmenwechsel erlebt. Die zentrale Anlaufstelle für Arme verzichtet in Corona-Zeiten weitgehend auf ihren Kontrollapparat. Was bleibt davon nach der Krise?

Zwischen Förderung und Kontrolle

Die Jobcenter sind Anlaufstelle für sieben Millionen Arme in Deutschland. Menschen, die den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien nicht aus eigener Kraft sichern können, erhalten im Jobcenter Geld und Förderung. Sie erleben dort aber auch Kontrolle und teilweise empfindliche Sanktionen. Im Jobcenter gibt es kreative Bemühungen um Integration, aber zugleich eine Unmenge gesetzlicher Regulierungen, an denen Bedürftige wie Jobcenter-Mitarbeitende mitunter verzweifeln.

Corona verändert Zugang zu Hartz IV

Doch in der Pandemie hat sich einiges geändert. Am 25. März 2020 verabschiedete der Bundestag einstimmig das Corona-Sozialschutzpaket, das den Zugang zur Grundsicherung stark erleichterte. Der Antrag auf Hartz IV wurde vereinfacht, die Vermögensprüfung praktisch abgeschafft, die Wohnungskosten bedürftiger Menschen ohne nähere Überprüfung anerkannt und übernommen, die Sanktionen zwischenzeitlich ausgesetzt. Das alles schaffte im Jobcenter Freiraum für die Bearbeitung vieler neuer Anträge und in der Öffentlichkeit Vertrauen, dass niemand in der Krise ins Bodenlose fällt. Die Regelung wurde bis März 2021 verlängert.

Daraus lernen für die Zukunft

Die Pandemie verursacht – zumindest befristet – einen Paradigmenwechsel, der vorher nicht denkbar war. Ließe sich daraus auch etwas für die Zeit nach Corona lernen? Im Rahmen eines bundesweiten Interviewprojektes befragt der kda Bayern derzeit Expert*innen aus der Praxis zum „Jobcenter der Zukunft“. Wie zum Beispiel Anette Farrenkopf, Geschäftsführerin des Münchner Jobcenters. Sie würde an manchem vereinfachten Verfahren gern auch künftig festhalten: „Wenn man sich den Grundsicherungsantrag anschaut mit den vielen Unterlagen, dann wäre es schon schön, ein Stück Vereinfachung in die Zukunft zu retten“, sagt sie. Farrenkopf wünscht sich grundsätzlich eine Entbürokratisierung der komplizierten Rechtsmaterie im SGB II, die viel Zeit und Personal binde. „Wir würden uns lieber stärker um die Integration der Menschen kümmern“, so Farrenkopf.
Ähnlich sieht es Sozialpädagogin Heike Tempel, die im Arbeitslosenzentrum der Diakonie im Münchner Hasenbergl Erwerblose berät. „Vielleicht merkt man, dass es für alle Beteiligten leichter wird, wenn ein Antrag auf Hartz IV nicht so eine Riesenhürde ist, wenn dieser zur Abwendung von existenziellen Krisen relativ schnell erst einmal genehmigt wird.“
Klar ist: Auch künftig wird ein Termin im Jobcenter bei niemanden Vorfreude auslösen. Aber das Jobcenter der Zukunft könnte ein Ort sein, an dem Menschen mit weniger Angst und weniger Hürden Hilfe in Anspruch nehmen.

(Foto: Thomas Reimer/ Adobe Stock)

Armut, Politik, Arbeitnehmende, Arbeitsbedingungen

Meldungsarchiv

Vorheriger Beitrag
Kreativität braucht Vernetzung – wie Kulturschaffende in der Coronazeit ums Überleben kämpfen
Nächster Beitrag
Stallgeruch

Ähnliche Beiträge