Kommentar: „Zeit ist Geld“

Dieser Spruch wird Benjamin Franklin zugeschrieben. Er lässt sich aber bereits in älteren Schriften finden. Bei Franklin kommt der Gedanke im Artikel „Ratschläge für einen jungen Geschäftsmann“ gleich als erster Ratschlag vor:

Denkt daran, dass Zeit Geld ist. Wer zehn Schillinge am Tag durch seine Arbeit verdienen kann und die Hälfte des Tages aus dem Haus geht oder im Müßiggang sitzt, obwohl er während seiner Freizeit oder seines Müßiggangs nur sechs Pence ausgibt, sollte das nicht als einzige Ausgabe betrachten; er hat in Wirklichkeit fünf Schillinge zusätzlich ausgegeben oder eher weggeworfen.

Der gesamte Ratgeber hat das Ziel, zu vermitteln, wie man Reichtümer anhäuft. Dies erreicht man, so die Zusammenfassung, wenn man viel arbeitet und nur das Notwendigste ausgibt. Natürlich unterstellt hier Franklin, dass man durch Arbeit immer irgendwie Einnahmen erzielen oder zumindest Ausgaben verhindern kann und solche Arbeit nie ausgeht. In der Realität ist dies nicht der Fall. Aber viel gewichtiger ist die Verkürzung des Reichtumsbegriffs: viel Geld = Reichtum.

Natürlich ist Geld solange existentiell wichtig, wie es für ein gutes Überleben notwendig ist. Doch ab da trägt jeder weitere Euro immer weniger zum Wohlbefinden oder Glück bei. Das zeigen Untersuchungen der sogenannten Glücksforschung.

Allen Menschen christlichen Glaubens sollte ohnehin klar sein: Reichtum ist mehr als das, was man kaufen kann.

Es gibt Reichtum an Beziehungen, Freundschaften, Freizeit, Natur, Hobbies, Vereinen und Gemeinschaften, körperlichem und geistigen Wohlbefinden, Glauben, … .

Ein Reichtumsbegriff, der alleine auf das abzielt, was man durch Geld kaufen oder erreichen kann, führt zu einem höheren Ressourcen- und Senkenverbrauch.

Senkenverbrauch meint dabei alles, was nach oder durch Verwendung und Produktion in die Umwelt abgeben wird, also hauptsächlich Abfälle, Abwässer und Abgase. Und das selbst dann, wenn man, wie von Franklin empfohlen, das Geld nicht für den eigenen Konsum nutzt, sondern investiert. So verstandener Reichtum richtet sich letztlich gegen die Bewahrung der Schöpfung.

„Zeit ist Geld“ richtet sich aber auch gegen Mitmenschen. Wer nur arbeitet, um noch mehr Geld anzuhäufen, hat weniger Zeit für Familie, Freunde, Nachbarn, …

Im Kern richtet sich „Zeit ist Geld“ damit doppelt gegen den Menschen.

Wäre nicht jetzt die Zeit, um sich gegen die Mentalität des „Zeit ist Geld“ zu wenden?

Thomas Krämer arbeitet als wissenschaftlicher Referent für den kda Bayern.

Bild: via Canva

Dieser Artikel ist Teil des Online-Schwerpunktes zum Ev. Kirchentag 2023.

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