Verkaufsprofi… auch in der Rente

Am liebsten hätte sein Arbeitgeber Herrmann* auch nach der Rente noch Vollzeit beschäftigt. Doch der 66-jährige Verkaufsprofi möchte jetzt nur noch zu seinen Bedingungen arbeiten. Und so kann der Einzelhandelskaufmann mit einem Festgehalt an zwei Tagen bzw. 16 Stunden in der Woche weiter Teppiche verkaufen – anders als sein Kolleg*innen, die auf Provisionsbasis arbeiten. „Ich bin eher ruhelos, nicht der, der sich auf den Hintern setzt“, sagt Herrmann. Er hat inzwischen mehr Zeit für seine Heidelbeeren und Gurken im Garten sowie für Festivals, Trödelmärkte und seine Musik-CD-Sammlung.

Angefangen hat alles vor 46 Jahren. In Oberfranken hat Herrmann in der Getränkebranche als Einzelhandelskaufmann gelernt.  „Seitdem hab ich immer was verkauft“, erzählt er. In einer Futtermittelfabrik und einem Aldi-Markt ist er tätig, verkauft dann seit dem Jahr 1988 Bodenbeläge und Teppiche. Nach Insolvenz der Teppich-Firma wechselte er erst im Dezember 2021 zu seinem jetzigen Arbeitgeber  – da hatte er nur noch fünf Monate bis zur Rente.

Klare Bedingungen

„Ich habe ganz klar gesagt, ich will nur zwei Tage arbeiten, ein Festgehalt haben und mit der EDV und dem Schnickschnack nix zu tun haben“. Seine Bedingungen wurden akzeptiert. Er hat sich schon früher auf Orient-Teppiche spezialisiert und die Beratung der Kunden macht ihm Spaß. Zu wissen, wo die Ware herkommt, charakteristische Muster und Farben: Herrmann hat sich Bücher dazu gekauft und er erzählt gerne Geschichten rund um „sein“ Produkt. „Wir werden von den Kunden im Internet bewertet und ich habe die meisten Punkte bekommen“, lacht er zufrieden.

Rund 20.000 Schritte am Tag

Herrmann arbeitet gerne mit Menschen, schätzt den Kontakt zu den Kollegen und obwohl er keine niedrige Rente hat gerade momentan gibt ihm die Arbeit mehr Sicherheit: „Ich weiß nicht, was demnächst Wasser und Strom kosten.“ Aber zum Verkaufen gehört auch körperliche schwere Arbeit. Die Verkaufsfläche ist riesig. „Ein Kollege hat mal ausgerechnet, dass wir in den Hallen zwischen 17. und 23.000 Schritte am Tag laufen“, so Herrmann. Weil er Probleme mit der linken Hand hat durch das schwere Tragen in 45 Arbeitsjahren, muss er sich auch schonen und die Kollegen helfen ihm. Im Verkauf geht die Arbeitszeit bis 19 Uhr. „Danach machst du nicht mehr viel“, weiß Herrmann. Deshalb ist er froh, dass er – wenn auch an wechselnden Tagen – nur noch zwei Tage die Woche Umsatz machen muss.

Zuhause heißt: Schuhe aus – Radio an

„Ich genieße, dass ich jetzt mehr Zeit habe“, sagt Herrmann, der wie er selbst sagt „jahrelang nix im Garten gemacht hat“. Jetzt baut er Gurken, Tomaten und Heidelbeeren an, tauscht die Ernte mit den Nachbarn oder verfeinert selbst Essig mit Kräutern.

Zweimal die Woche sieht er seine Enkelkinder, für die er auch mal lustiges Spielzeug auf Trödelmärkten kauft. Aber auch für sich findet er dort Kochbücher, Science-Fiction-Literatur oder gebrauchte Rock-CDs. Davon hat er rund 700 Stück Led Zeppelin, Deep Purple oder Richie Blackmore gehören zu seinen Favoriten. Früher hat er selbst in einer Band Gitarre gespielt und Musik ist wichtig für ihn. Kaum zuhause gilt für ihn >Schuhe aus Radio an<. Wenn er dann auf Festivals unterwegs ist, kommt es immer mal vor, dass er angesprochen wird: >Bei Ihnen hab ich doch meinen Teppich gekauft<.

„Die Leute erinnern sich an mich“, freut sich Herrmann. „Das sind Begegnungen, die Freude machen und wer mich anspricht, war zufrieden.“

*Name von der Redaktion geändert

Hanna Kaltenhäuser, sozialwissenschaftliche Referentin kda Bayern

Bild:  Sturti Getty Images via canva

Arbeitnehmende, Arbeitsbedingungen, Rente, Alter

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