Wort zum Tag zum Freiheitsbegriff bei Luther

NÜRNBERG. Ein Wort zum Tag zum Freiheitsbegriff bei Luther von Thomas Krämer.

Vorweg

Dieses Wort zum Tag entstand für eine Dienstkonferenz. In angepasster Form sollte es elektronisch erscheinen. Nun habe ich lange überlegt, ob ich es so abändern soll, dass es auf die aktuelle Situation eingeht. Ich habe mich aber dagegen entschieden. Denn ich selbst bin froh, wenn ich mal etwas lese, was nicht mit Corona direkt zu tun hat.

Ich bin kein Theologe, sondern Ökonom mit philosophischer und sozialethischer Weiterbildung. Aufgrund einer Frage eines Theologen zum Freiheitsbegriff im Konzept des homo oeconomicus habe ich mich mit dem Freiheitsbegriff bei Luther beschäftigt. Insbesondere mit seiner berühmten Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, aber nicht nur. Das war so spannend, dass das ursprüngliche Wort zum Tag entstanden ist. Hier nun eine leicht überarbeitete Version.

Freiheit und Knechtschaft bei Luther

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Das sind wohl mit die bekanntesten Sätzen von Luther. Gerade der erste wurde und wird viel Bemüht, wenn es um Freiheit auch im heutigen Kontext geht.

Welche Freiheit meinte Luther?

Um das zu verstehen, muss man ein wenig mittelalterliche Menschen verstehen. Genauer, wie wichtig ihnen ihr Seelenheil war. Niemand wollte in der Hölle enden oder lange im Fegefeuer garen. Wie stark das wirklich einen durchschnittlichen, hart arbeitenden Menschen umtrieb, ist schwierig zu sagen. Ich glaube aber deutlich mehr als heute.

Die Sorge war, ob man genug gute Werke tut, um erlöst zu werden. Luther setzt dem eine klare und deutliche Antwort entgegen. Nicht die Werke tun es, sondern alleine Gott. Und darin liegt die Freiheit, die Luther meint. Kurz und vielleicht auch etwas überspitzt zusammengefasst würde ich sagen:

Die Freiheit des Christenmenschen liegt darin, dass der Mensch von allen Sorgen und Nöten um die Erlösung seiner Seele befreit ist. Zugleich liegt sie aber auch nur genau darin und nicht in irgendeiner Form der äußeren oder inneren Freiheit. Geschweige denn hat sie etwas von einer Handlungsfreiheit oder Entscheidungsfreiheit. Und diese Freiheit des Christenmenschen wird rein mythisch erklärt und begründet.

Das ist eine ganz andere Freiheit, als die Freiheit, die wir heute meinen, wenn wir von Freiheit reden.

Hat der Text uns also nichts über die Erlösungsfrage hinaus zu sagen?

Oder anders formuliert: Sagt er nichts zur Handlungsfreiheit oder Entscheidungsfreiheit? Denn das war ja das, warum ich mich mit dem Freiheitsbegriff bei Luther beschäftigen wollte. Eine positive Beschreibung einer solchen Freiheit fand ich nicht. Aber eine negative klingt im Text an. Eine Beschreibung was sie nicht ist. Und das war das Spannende und letztlich Überraschend, das Bereichernde, das ich gerne teilen möchte.

Luther unterscheidet zwischen einer geistlichen und einer leiblichen Natur des Menschen. Diese geistliche Natur, oder auch Seele, ist entweder erlöst und frei oder eben nicht. Die leibliche Natur widerstrebt der Seele. Sie ist garstig. Und der Mensch ist nur wirklich frei, wenn er rein geistlich geworden ist. Aber das passiert erst am jüngsten Tag.

Solange bedarf es der dienstbaren Knechtschaft. Und diese Knechtschaft begründet Luther auf zwei Arten. Die Erste hängt, wie ich finde, einem körperfeindlichen Bild an. Da ist die leibliche Natur eine sündhafte, die durch gute Werke gezüchtigt werden muss. Etwas von dem man wenig liest in den Denkschriften mit Freiheitsbezug oder Abhandlungen zur Freiheit im Rahmen des Lutherjahrs 2017. Aber man findet sie.

Im Luthertext findet sich jedoch auch eine zweite, von der ich noch nie gelesen oder gehört hatte. Das Ergebnis dieser Begründung dürfte wiederum bekannt sein. Es läuft auf die bekannte Aussage hinaus: Christenmenschen sind zur Liebe befreit. Diese Aussage alleine ist nett, wie ich finde – mehr aber auch nicht.

Inspirationspotential bis heute

Neben der Aussage „Christenmenschen sind zur Liebe befreit“ braucht es die Begründung. Erst durch beides entsteht eine Inspiration, die bis ins Heute wirken kann. Mit der, der Luther von damals, uns, in unserer ganz anderen Zeit, etwas zu unserem Freiheitsverständnis zu sagen hat.

Da steht, es braucht die dienstbare Knechtschaft, weil wir mit Leuten umgeben sind. Dieser Ansatz ist es wert weiter verfolgt zu werden. Im Luthertext klingt das so: Da der Mensch „unter anderen Menschen auf Erden“ lebt, „kann er nicht ohne Werke sein gegenüber diesen, er muss ja mit ihnen zu reden und zu schaffen haben, obwohl ihm dieselben Werke nicht nötig sind zur Güte und Seligkeit. Darum soll seine Meinung in allen Werken frei und nur darauf ausgerichtet sein, dass er anderen Leuten diene und nütze.“ Für Luther besteht ein „wahrhaftiges Christenleben“ darin, dem Anderen Liebe zu erweisen, darauf achten, was dem Anderen dient, was des Anderen Not ist, nicht auf sich selbst oder das Seine zu achten, den Nächsten so annehmen, als wäre er man selbst.

Begründung mit Potential

Diese Begründung hat es in sich. Sie bietet heute noch Potential und Wirkungsmacht. Die spannende Frage ist nun: Welche Werke sind heute geboten? Diese mögen andere sein, also die, die Luther damals im Sinn hatte. Aber es ist spannend darüber nachzudenken, welche Werke es heute sein könnten und/oder wie sie neu interpretiert werden sollen.

Ganz knapp und kurz würde ich das so zusammenfassen: Als Menschen brauchen wir die Knechtschaft, weil wir unter Menschen leben. Wie diese Knechtschaft heute aussehen soll, was für Verhalten sie verlangt, welches sie nicht toleriert und welches sie sanktioniert, ist die spannende Frage. Denn es ist eine Knechtschaft, die dem Nächsten dienen soll, die uns dazu bringt aus Liebe den Anderen zu begegnen.

Bei aller Freiheit des Christenmenschen meint eine so definierte Freiheit gerade nicht die Freiheit den eigenen Nutzen oder Gewinne zu maximieren, nicht die Freiheit immer mehr an Waren, Dienstleistungen und Geld anzustreben.

Aber der individualethische Blick reicht nicht aus. Es bedarf auch der Analyse und Gestaltung der Rahmenbedingen unter und in denen wir leben.

Freiheit in Knechtschaft

Eine solche Knechtschaft stellt hohe Ansprüche. Dennoch müssen diese Ansprüche in aller Deutlichkeit benannt werden. Von dem Ideal darf nichts mit der Begründung weggenommen werden, weil wir Menschen es ohnehin nicht erreichen können. Wir brauchen einen Wegweiser, selbst dann, wenn wir an diesem verzweifeln. Und genau da schließt sich der Kreis von heute zu damals wieder.

Diese Verzweiflung, dieses Erkennen des eigenen Unvermögens ist nach Luther, Teil des ersten Schritts zur Erlösung durch Gott. Neben der Predigt der Gebote und Gesetze muss natürlich auch das Zweite, die Predigt der Verheißung und Zusage Gottes, kommen. Und die ist wichtig. Denn sie enthält die Zusage, dass es dem erlösten Christenmenschen „leicht und kurz“ fällt, sich an Gebot und Gesetz zu halten.

Es bedarf also der Predigt von beidem. Und vielleicht ist heute, im Gegensatz zu der Zeit von Luther, nicht das Zweite unterbelichtet, sondern das Erste. Dieses wurde damals übertrieben und einseitig gepredigt. Das hat Luther zu Recht angegriffen und aufgeregt. Und so könnte es sein, dass Luther in all seiner Anstößigkeit einen seiner Sätze aus der Freiheitsschrift wieder sagen oder schreiben würde. Mit diesem möchte ich schließen:

„So sehen wir, was für ein hohes edles Leben ein christliches Leben ist, das leider jetzt in aller Welt nicht nur darniederliegt, sondern auch nicht mehr bekannt ist oder gepredigt wird.“

Hinweis:

Grundlage der Zitate aus „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von Luther ist der Text, im Rahmen des Projekts freiheit2017.net.

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