MÜNCHEN. Seit der Gründung bemüht sich das Soziale Netz Bayern, trotz unterschiedlicher Schwerpunkte der einzelnen Wohlfahrtsverbände, des DGB und der Kirchen, in der „Sozialen Frage“ in Bayern möglichst „mit einer Stimme“ zu sprechen. So kam es vergangene Woche zu einem Begegnungsabend im Landtag mit Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen hauptsächlich aus dem Sozialbereich. Auf der Agenda standen die Themenschwerpunkte Inklusion, Kinder- und Bildungsarmut sowie Wohnungsnot.
Die Anliegen des Sozialen Netzes wurden durch drei Impulsreferate eingeleitet, an die sich eine lebhafte Diskussion in Gesprächskreisen anschloss.
Tarifflucht fördert Wohnungsnot
Mathias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern, nahm zur Wohnungsnot am Beispiel München Stellung. Dabei warf er auch einen Blick auf die Einkommenssituation. Für Wohnen müssten viele Arbeitnehmer*innen bereits fast die Hälfte ihres Lohnes bzw. Einkommens allein für Miete aufwenden. Für Krankenschwestern, Servierer*innen, Polizist*innen, Paketbot*innen und viele andere „Helfensberufe“ sei der das Gehalt nicht mehr ausreichend. Das hänge auch damit zusammen, dass viele Betriebe in Bayern aus der tariflichen Bindung ausgeschert sind. Hintergrund ist für Jena die Studie “Tarifverträge und Tarifflucht in Bayern” des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut s(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Bayern am Mittwoch in München. Danach wird in Bayern nur noch knapp die Hälfte der Arbeitnehmer in Bayern (53 Prozent) nach Tarif bezahlt.
Langer Weg zu barrierefreiem Bayern
Ulrike Mascher, die Landesvorsitzende des Sozialverbandes VDK Bayern nahm zum Thema Inklusion Stellung. Sie verwies auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Bei deren Einführung habe man in Bayern gedacht, der Anpassungsbedarf im öffentlichen Bereich sei nur geringfügig. Inzwischen zeige sich, dass zu „Bayern barrierefrei bis 2020“, wie es die Staatsregierung vorsieht, noch ein langer Weg hin sei. So sei jetzt z.B. ein neues Problem im Bereich der Deutschen Bahn dadurch entstanden, dass die Bahnsteige aus technischen Gründen von 55cm auf 75 cm angehoben würden und damit völlig unvorhergesehen eine neue Hürde entstehe. Als weiteres Thema sprach sie die Tatsache an, dass arbeitsfähige Menschen mit Behinderung nach wie vom überwiegenden Teil der Unternehmen nicht eingestellt würden. Nicht zuletzt deshalb gelte jede*r sechste Behinderte als armutsgefährdet – und das im wohlhabenden Bayern! Angesichts der bevorstehenden Landtagswahl sollten Menschen mit Behinderung auch als Wähler*innen in Betracht gezogen werden.
Kindergrundsicherung statt Kinderarmut
Diakoniepräsident Bammessel schilderte eigene schmerzvolle Einsichten in das Thema Kinderarmut. Als Religionslehrer habe er früher einmal in einer Schulklasse nach den Ferien unbedacht gefragt, wo sie ihren Urlaub verbracht hätten. Dabei trat zutage, dass es eben durchaus Kinder gibt, die nicht wegfahren können, ja, dass so manche Familien nicht einmal aus ihrem Wohnviertel herauskäme. Die Erfahrung anderer Gegenden und Kulturen sei aber erwiesenermaßen förderlich zur Entwicklung der Persönlichkeit. Demgegenüber zeigten Kinder aus Armutsmilieus häufig ein mangelndes Gefühl der Selbstwirksamkeit, d.h. die Erfahrung, durch die eigene Person etwas bewirken zu können. Für junge Menschen scheitere beispielsweise der Zugang zu einer Arbeitsgelegenheit am Fehlen eines Führerscheins. Der Erwerb sei aber so kostspielig, dass er für Hartz-IV-Bezieher*innen nicht infrage käme. Das vorläufige Fazit des Diakoniepräsidenten hinsichtlich der Armutsfrage bei Kindern und Jugendlichen ist: „Wir sind nicht wirklich vorangekommen.“ Daher vertritt er zusammen vielen anderen aus dem Sozialbereich die Forderung einer „Kindergrundsicherung“.
Zugang zu Bildung als Menschenrecht
Johannes Rehm fokussierte als Leiter des kda im Vorfeld des Parlamentarischen Rahmens eine „Problemanzeige Bildungsarmut“. Demnach ist Bildung ein Querschnitt-Thema, das alle Lebensbereiche betrifft. Für Personen und Familien mit einem geringen Einkommen stellen Ausgaben für Bildung immer noch eine Herausforderung dar; notwendige Ausgaben können nicht vom Regelbedarf für Lebensmittel oder Nahverkehr entnommen werden. Jugendliche haben einen erhöhten Förderbedarf, um zu einem Schul- bzw. Aus-bildungsabschluss zu kommen. Dies betrifft ca. 10-15 Prozent eines Jahrgangs. Völlig aus dem Blick des Sozialberichts der Bayerischen Staatsregierung sind sog. „Dunkelziffer-Jugendliche“, die durch alle Rechtskreise fallen und nirgends auftauchen. Dennoch sind sie in der Gesellschaft existent und erscheinen irgendwann als immense „Reparatur-Kosten“. Bei Menschen mit Migrationshintergrund entsteht großer Handlungsbedarf bei der Beratung der Berufswegeplanung, bei individueller Förderung zur Beseitigung von Vermittlungshemmnissen, auch unter Einbeziehung der familiären Strukturen. Bei der beruflichen Bildung von Erwachsenen schließlich ist ein Mangel an Möglichkeiten festzustellen, auch in späteren Lebensphasen eine Ausbildung zu absolvieren. Lebens- und Berufsbiographien der Menschen sind jedoch in der globalisierten Welt so vielfältig geworden, dass ein lineares Ausbildungs-System damit nicht mehr kompatibel ist. Johannes Rehm zum Schluss: „Als Soziales Netz Bayern verstehen wir den Zugang zu Bildung als elementares Menschenrecht, das niemandem vorenthalten werden darf.
Die Standpunkte der vier Referent*innen finden Sie in der aktuellen Broschüre des Sozialen Netz Bayern zum Nachlesen.