Arme Karen. Besser gesagt tun mir alle Karens dieser Welt ein bisschen leid, also diejenigen Menschen, die wirklich Karen heißen. Ja, das klingt jetzt ein wenig kompliziert. Denn es gibt neben den Frauen, die diesen Namen von ihren Eltern erhalten haben, eine zweite Gruppe „Karens“. Es ist quasi ein Titel, allerdings ein wenig schmeichelhafter.
„She´s such a Karen“ ist inzwischen vor allem im englischsprachigen Raum ein oft gehörtes Urteil. Bezeichnet werden so Menschen, die sich in ihrer Rolle als Kundin gegenüber Servicekräften ihrer Privilegien allzu sicher fühlen und in abfälliger, oft rassistischer Weise den Gehorsam der Verkäufer*innen, Servicekräfte oder anderer Menschen einfordern. Der Gipfel der oft absurden Tiraden ist der zum Meme gewordene Satz „Can I speak to the manager?“, also „Kann ich den Manager sprechen?“ Der Comedian Dane Cook sagte schon in einem Programm 2005, dass doch „jede Gruppe eine Karen hat und sie ist immer eine Ziege“.
Leider hat die ganze Geschichte um diese „Karens“ irgendwie einen sexistischen Dreh. Denn bisher sind mir kaum männliche Referenzen in diesem Zusammenhang untergekommen. Und seien wir ehrlich, auch Männer können gegenüber Menschen im Verkauf ziemliche Drecksäcke sein. Man muss den Menschen im Service nur zuhören, um festzustellen, dass fehlender Respekt, Verständnis für Fehler oder schiere Unverschämtheit kein Problem eines Geschlechts oder des Alters sind.
Doch ich bin geneigt, einem australischen Burgerrestaurant die Nutzung des Namens zu verzeihen. Denn hier wurde in durchaus witziger Weise der Spieß einmal umgedreht. In „Karen´s Diner“ werden die Gäste vom Servicepersonal angeblafft, rüde abgefertigt oder sogar (mit gewissen Grenzen) nach Herzenslust beleidigt. „Willst du die Karte heiraten oder einfach was davon bestellen, du pingeliger Schnösel?“, knallt es einem unentschlossen Gast vielleicht entgegen. Den Gästen scheint es zu gefallen. Schließen musste der Laden bisher nicht. Ganz im Gegenteil.
Ich frage mich: Würde Jesus sich vielleicht ganz bewusst an Karens Tisch setzen? Ich lese von seiner Begegnung mit Zachäus und seinem Mahl mit den Zöllnern und Sündern. „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“(Mt 9, 9-13). Was hätte er Karen oder ihrer männlichen Entsprechung in so einem Moment gesagt? Vielleicht würde er die beiden in den Arm nehmen und sagen: „Komm, sag mal, wo dich der Schuh eigentlich drückt. Willst du wirklich so jemand sein?“ Die Stärke liegt eben nicht bei den Laut-starken, sondern meist bei denen, die geduldig versuchen, auch den unangenehmsten Kunden nicht einfach eine Nase zu drehen und sie vor aller Öffentlichkeit bloß zu stellen. Die, welche mit einem freundlichen, aber bestimmten Gesicht denken: „Arme Karen“.
Martin Deinzer, kda Bayern
Foto: dean drobot via Canva