„Die Erde steht derzeit still – zumindest ein bisschen“, so konnte man in einem Artikel in der Zeitung „WELT“ lesen. Wie Wissenschaftler feststellten, ist unser Planet aufgrund der Corona-Krise und den damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen tatsächlich ruhiger geworden. Das durch menschliche Aktivitäten verursachte Summen und Brummen, welches von Detektoren als seismisches Störrauschen aufgezeichnet wird, hat abgenommen.
Wenn Seismographen die „Ruhe“ auf der Erde messen, sagt dies nichts darüber aus, wie es den Menschen geht. Denn viele Menschen leiden gerade in den letzten Monaten unter einer großen permanenten Unruhe. Der Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung mit Zeiten für Ruhe und Erholung scheint für viele aus dem Takt geraten zu sein. Das ist beunruhigend, denn gerade Wochentage mit ihrer festen Struktur und vor allem der freie Tag, der Sonntag, sind nicht nur für Einzelne, sondern für das ganze gesellschaftliche Zusammenleben bedeutsam.
Der Sonntag soll ein Tag sein, an dem es in uns und um uns ruhig wird und dass nicht nur für für den Einzelnen, sondern zeitgleich für möglichst viele Menschen. Wie eine Stoppuhr, die nach dem Lauf für alle Läufer wieder zurückgesetzt wird, damit beim nächsten Lauf wieder alle neu anfangen können, so soll auch der Sonntag einen Reset für die Seele ermöglichen.
In der biblischen Schöpfungsgeschichte heißt es: „Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ (1. Mose 2,2-3).
Gott ruhte am siebten Tag. Ich verstehe diese Ruhe als ganzheitlich und umfassend. Eine heilsame Ruhe für Körper und Geist, aus der sich Kraft für Kommendes schöpfen lässt.
Wir erleben es gerade, was passiert, wenn diese umfassende Ruhe in eine Schieflage gerät. Wenn nämlich der körperlichen Ruhe aufgrund von Kurzarbeit, Geschäftsschließungen oder Homeoffice eine große innere Unruhe und Anspannung entgegen steht, vielleicht verbunden mit existenziellen Ängsten, Sorgen und Nöten.
„Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?“, heißt es in Psalm 42. Eine betrübte Seele ist unruhig, ist aufgekratzt. Im Artikel 139 der Weimarer Verfassung, der ins Grundgesetz aufgenommen wurde, wird von einer seelischen Erhebung gesprochen, die der arbeitsfreie Sonntag ermöglichen soll.
Mit diesem für uns heute ungewöhnlichen Wort „Erhebung“ wird aber gerade das aufgenommen, um was es geht – eine heilsame Ruhe, die Menschen in all seinen Bezügen erfasst.
Gerade, wenn für die einen sich die Tage nicht mehr unterscheiden, weil sie immer daheim sind und nicht zur Arbeit können und für die anderen, für die die Arbeit auch am Wochenende nicht aufhört, braucht es den Sonntag, als synchronen Ruhetag.
Der Sonntag, ein Tag an dem die Erde etwas zur Ruhe kommt, darf nicht nur seismologisch nachweisbar sein, sondern muss sich konkret bei jedem Einzelnen und gesamtgesellschaftlich ausdrücken.
“Gott sei Dank, es ist Sonntag”, so lautet ein Slogan der Sonntagsallianz.
Diese Woche feiern wir 1.700 Jahre arbeitsfreien Sonntag. Es ist gut und notwendig, wenn staatlich garantiert Ruhe einkehren kann. Aber die staatliche Anordnung schafft nur den Rahmen. Dass der Sonntag zu einem umfassenden Ruhetag für Körper und Geist werden kann, dazu braucht es mehr. Es braucht Menschen, die sich darauf einlassen und in ihrem Umfeld dafür eintreten. Und es braucht eine Rückbesinnung auf die Schöpfung und die Geschöpflichkeit des Menschen. Der Sonntag, ein Geschenk des Himmels, Gott sei Dank.
Roland Hacker, kda Nürnberg
(Foto: kda Bayern)